Heute komme ich endlich zu einem Buch, das bisher noch nicht den Weg zu unserer Blogbühne gefunden hat. Es ist der erweiterte, aktualisierte und jetzt großformatige Nachfolgeband des längst vergriffenen Erfolgstitels „Treffpunkt Trinkhalle“.
Ein Buch, das riecht nach abgestandenem Bier, Tabakrauch und diesen merkwürdigen Frikadellen, die immer schon fertig sind, bevor du überhaupt reingekommen bist. Es ist ein Denkmal aus Papier für die letzte Bastion des Menschlichen im Zeitalter von Amazon Prime und Lieferando. Es geht um Trinkhallen – oder wie man sie je nach Breitengrad nennt: Buden, Büdchen, Wasserhäuschen, Kioske. Diese kleinen Tempel des Alltags, wo der Asphalt aufhört, einfach nur Asphalt zu sein, und zur Bühne des Lebens wird.
Die Autoren Reinaldo und Janni nehmen dich mit auf eine Reise durch den Ruhrpott. Es ist kein schickes Coffe Table Book, nein, es ist eher wie ein Schnaps, den dir ein Fremder spendiert, der dich dann nach deinen Problemen fragt, aber eigentlich nur über seine eigenen reden will.
Eine Trinkhalle ist die Anlaufstelle für den letzten Euro in der Tasche, für spontane Ratschläge von Typen, die sich selbst nur knapp zusammenhalten, und für den Kippenautomaten, der immer funktioniert, auch wenn der Rest der Welt zusammenbricht. Trinkhallen sind sozialer Kitt, sie sind Philosophie im Plastikstuhlformat. Hier diskutiert der Bauarbeiter mit dem Banker, der Hund pinkelt an die leeren Kästen, und alle nicken wissend. Bukowski hätte wahrscheinlich gesagt: „Das ist nicht einfach ein Kiosk. Das ist der Herzschlag der Straße.“
In einer Zeit, in der alles schneller, digitaler und unpersönlicher wird, erinnern Trinkhallen uns daran, wie wichtig diese kleinen, realen Begegnungen sind. Sie sind kulturelle Artefakte – halb Sozialstation, halb Kneipe für Anfänger. Es ist das, was bleibt, wenn der Rest verschwindet: eine kleine Hütte voller Hoffnungen, Enttäuschungen und Geschichten, die so ehrlich sind, dass sie wehtun und gleichzeitig heilen.
Dieses Buch ist wie ein Abend an der Trinkhalle selbst: Du kommst rein, planst nur kurz zu bleiben, und dann, bevor du dich versiehst, bist du mittendrin in den Geschichten. Du lachst, du denkst nach, und vielleicht weinst du sogar ein bisschen – aber nur, wenn keiner hinguckt. Es ist Bukowski ohne den Zynismus, mit mehr Herz und einem besseren Biergeschmack. Ein echtes Muss für jeden, der sich je gefragt hat, warum die besten Geschichten immer an den einfachsten Orten passieren.
Der erweiterte und aktualisierte Nachfolgeband war im Juli erschienen. Wenn du dir das Buch holen willst, dann bitte nicht bei „dem großen kleinen A“, sondern direkt bei den Machern selbst! Dort kannst du auch Fine Art Prints von ausgewählten Trinkhallen kaufen. Oder du gehst zu deiner Buchhandlung um die Ecke. Denn genauso wie die Trinkhalle ist auch dein lokaler Buchladen Teil der Nachbarschaft.
Prost auf die Geschichten, die dort geschrieben werden – und auf die, die sie uns bewahren.
Treffpunkt Trinkhalle
Reinaldo Coddou H., Jan-Henrik Gruszecki
Bildband
Verlag Edition Panorama
Seitenanzahl 356 mit ca. 240 Fotografien
ISBN 978-3-89823-635-5
Kostenpunkt 38,- EUR