Es ist immer sehr schwierig, wenn es darum geht, einen seiner Lieblingsfilme vorstellen zu müssen. Wie soll ich die ganzen Emotionen und Feinheiten in diesen Zeilen einfangen, die das Werk von Regisseur Mathieu Kassovitz zu einen der großen europäischen Filme der 1990er Jahre machten? Ich denke, ich werde bei den Fakten bleiben und euch den Plot und die Protagonisten näherbringen. 

Der im Stil einer schwarz-weiß Dokumentation gedrehte Film La Haine ist weit entfernt von der französischen Standardware aus überdrehten Humor oder schmerzhaften, persönlichen Beziehungen. Das Werk von Mathieu Kassovitz war einer der großen Erfolge des europäischen Kinos der 1990er Jahre. Obwohl das französische Kino damals kaum für seinen sozialen Realismus bekannt war, hatte La Haine die Arthouse Kinosäle erobert.  Der jüdische Regisseur nimmt uns mit in eine Zeit, in der Gewalt und brennende Autos lediglich eine Randerscheinung der „Banlieues urbaines“ waren. Jener vernachlässigten Vororte, in denen sich die „HLM“ (Habitations à Loyer Modéré), Wohnsitze mit moderater Miete, zu gesichtslosen Hochhäusern auftürmen. 

Kassovitz hat viele Filmemacher dafür kritisiert, daß sie die Mehrheit der Franzosen nicht erreichen und sich allzu oft auf die emotionalen Traumata der Bourgeoisie in ihren schicken Stadtwohnungen oder Landhäusern konzentrieren. Seine künstlerischen Einflüsse stammen nicht aus dem französischen Kino, sondern er bewundert die Regisseure, die sich an sozialkritischen, sozialpolitische Themen heranwagen wie zum Beispiel Spike Lee, Emir Kusturica oder Ken Loach. Ohnehin erkennt man in seinem Film viele Referenzen auf US-Spielfilme. So zeigt eine verweilende Szene den Protagonisten Vinz, gespielt von dem jungen Vincent Cassel, wie er wie Robert de Niro in „Taxi Driver“ vor einem Spiegel posiert. 

Der Großteil von La Haine spielt in einem der trostlosen Pariser Vorstädte und die Authentizität des Films, wurde durch Dreharbeiten im Banlieue Chanteloup-Les-Vignes erreicht. Nichtsdestotrotz gibt es einige erkennbare Postkartenaufnahmen aus dem Zentrum von Paris, vor allem wenn die drei Jungs den Zug in die Stadt nehmen und vom Dach der legendären Galeries Lafayette auf den Boulevard Montparnasse blicken.

„Dies ist die Geschichte von einem Mann, der aus dem 50. Stock von ’nem Hochhaus fällt. Während er fällt, wiederholt er, um sich zu beruhigen, immer wieder: ‚Bis hierher lief’s noch ganz gut, bis hierher lief’s noch ganz gut, bis hierher lief’s noch ganz gut…‘.
Aber wichtig ist nicht der Fall, sondern die Landung!“

Die inzwischen klischeehaft gewordene, aber nichtsdestotrotz wichtige Zeile, über die jeder, der La Haine schaut, nachdenken muss. Huberts allegorische Geschichte eines Mannes, der von einem Hochhaus fällt, die die Bedeutung dieses Klassikers untermauert, wirkt trostlos, aber das muss sie auch sein. Es ist der denkwürdigste und symbolträchtigste Moment eines Films, der bewusst das Elend des Lebens in den vergessenen Vorstädten von Paris zeigen will.

Der Schauplatz von La Haine ist ein trostloser, heruntergekommener Pariser Vorort, weit abseits der Touristpfade. Trostlose Wohnblöcke aus Beton so weit das Auge reicht. Die Handlung wurde vom Schicksal des 16-jährigen Zairers Makome Bowole inspiriert, der drei Jahre vor dem Film von einem Polizisten während eines Verhörs in den Kopf geschossen wurde, nachdem er wegen des Verdachts des Zigarettendiebstahls festgenommen worden war.

Kassovitz erzählt die Geschichte von knapp 24 Stunden im Leben von drei Jugendlichen. Vinz ist ein nicht praktizierender Jude, der sich für einen Gangster hält und davon träumt, sich an einem Polizisten für die Misshandlung seines Freundes Abdel zu rächen. Der Zustand von seinem Freund ist auch der Grund für die Ausschreitungen, die den Film ausmachen. Saïd ist sein entspannter und immer gut gelaunter Kumpel aus dem Maghrebin (Nordafrika). Hubert, ein schwarzafrikanischer Boxer und so etwas wie der Ruhepol, vervollständigt das Trio. Die drei Freunde reagieren alle auf ihre eigene Weise auf eine Nacht voller Ausschreitungen, in der ihr Freund Abdel durch die Polizei schwerverletzt wurde. Der Zuschauer erfährt während des Films aus zeitweiligen Fotos und Nachrichtensendungen, was in der Nacht passiert ist. Die Einbeziehung von Original Nachrichtenmaterial zu Unruhen in den Vorstädten aus den Fernsehnachrichten, verstärkt die Absicht und die Wirkung des Films auf eine eindrucksvolle Weise. 

In der Nacht stolperte Vinz über die Handfeuerwaffe eines Polizisten. Hubert und Saïd sind beschämt, als er ihnen von seinen Plänen erzählt, die Waffe gegen die Polizei einzusetzen, falls Abdel im Krankenhaus sterben sollte. Mathieu Kassovitz hat die Charaktere als den Guten, den Bösen und den Naiven beschrieben. Hubert träumt von der Flucht aus dem Leben im Banlieu, Vinz wünscht sich nur Rache und Saïd tut sein Bestens, um seine Augen zu verschließen und unwissend zu bleiben. 
Gemeinsam lassen sie sich durch einen Tag treiben, der durch wiederholte und unterschiedlichste Begegnungen mit der Polizei markiert ist. 

Ich möchte nicht mehr über die Handlung verraten, da für den ein oder anderen die Story vielleicht ja doch noch unbekannt sein sollte. 

Wichtig vielleicht noch zu erwähnen, ist der Kleidungsstil des Trios. Ein Look, der bis heute Bestand hat und viele andere dazu anregte ihre eigene Mode im La Haine-Look zu kreieren. Hubert trägt eine Lederjacke und Klamotten von Carhartt. Saïd sorgt mit seinem Sergio Tacchini Trainingsanzug und Lacoste Polo für den nötigen Chic. Und Vinz trägt ein damals sehr angesagtes Nike Track Top. 

„Le Monde est à (N)ous“

Der Regisseur Mathieu Kassovitz hat mit La Haine ein Meisterwerk geschaffen, dass neben Filmen wie „Boyz N The Hood“ oder City Of God eine Referenz des Genres etabliert hat. Das Drehbuch hat er übrigens gemeinsam mit Saïd Taghmaouie geschrieben, der den Saïd spielt. 
Selbst 25 Jahre später ist der Film weiterhin relevant. Minimalistisch und zielsicher verurteilt er die Missstände in der französischen Gesellschaft. Ein Film, den man gesehen haben sollte. 

La Haine
Deutscher Titel „Hass“
Erschienen im Jahr 1995
Spieldauer 96 Minuten
Regie und Drehbuch: Mathieu Kassovitz
Vincent Cassel (Vinz)
Hubert Koundé (Hubert)
Saïd (Saïd Taghmaouie)