von bobo van dalen
In der Sommerpause findet sich ein wenig Zeit, die Fußballkultur im engeren Sinne zum Chillen an den Badesee zu schicken oder die weitläufige Verwandschaft zu besuchen. Keine Sorge, wir werden sicherlich kein reiner Kunst und Filmblog. Doch es hat noch nie geschadet mal über den berühmten Tellerrand hinauszublicken und seinen Horizont zu erweitern. Nach der Kunst von Nøne Futbol Club stellen wir euch heute nach „This is England“ einen weiteren Filmklassiker vor. Davon ausgehend, dass Film und Inhalt wesentlich bekannt sein dürften, beleuchten wir schwerpunktmäßig das „Drumherum“. in diesem Sinne….
Die Definition
Das Hobby des sogenannten Trainspotters beinhaltet im Kern die Beobachtung, Fotografieren von Zügen und notieren der Zugnummern. Es gibt aber auch Spotter für Flugzeuge, Tiere oder Extremwetterlagen sein.
Im englischen Sprachraum steht „train spotting“ auch sprichwörtlich für sinnlos Tätigkeiten oder dem gemäße Hobbys.
Das Buch
Im Jahr 1993 veröffentlichte der schottische Schriftsteller Irvine Welsh sein Erstlingswerk Trainspotting. Der Roman erzählt keine fortlaufende Geschichte. Eher werden Ausschnitte und Einblicke in den Alltag einer Gruppe junger Erwachsener aus Schottland gegeben, die sich zwischen Drogensucht, Sex und Gewalt bewegen. Arbeiten möchten sie nicht, somit beschaffen sie sich ihr Geld durch Klauen oder zwielichtige Geschäfte.
„Mietskasernen, Arbeitslosigkeit, miese Pubs, viel Alkohol und jede Menge Drogen: Willkommen in Leith, einer schmuddeligen Vorstadthölle von Edinburgh! Und im Leben der jugendlichen Außenseiter Renton, Spud, Begbie, Sick Boy und Second Prize, deren Alltag aus Suff, Rausch, Entzug, Sex, Frust und Gewalt besteht. Selbst wer noch kein Junkie ist, wird bald einer sein.“ Irvine Welsh
In dem Ort Leith, in dem die Geschichte spielt, scheint so ziemlich niemand clean zu sein. In einer Dreiecksbeziehung aus Drogenbeschaffung, Haftstrafen und Existenzängsten scheint der Alltag durch die Angst vor HIV, ungewollte Schwangerschaften und Gewalt geprägt zu sein.
Aus unterschiedlichen Sichtweisen werden Junkie-Karrieren skizziert, die in verzweifelten Entzugsversuchen münden (der Inhalt ist im folgenden Kapitel Film ausführlicher dargestellt).
Inhaltlich ist das Buch widerwärtig direkt, was auch den Drogenkonsum als solches betrifft. Die subjektiven Vergleiche der Figuren sollten nicht mit der Verherrlichung von Drogen verwechselt werden. Im Gegenteil, mit den krassen Folgen für die Protagonisten entsteht eher eine abschreckende Wirkung. Im englischen Original erhalten die Charaktere zudem durch individuellen Sprachstil und sogar durch unterschiedliche Dialekte eine sehr persönliche Note.
In seinem 2002 erschienen Roman „Porno“ schreibt Welsh das Sequel zu Trainspotting, indem sich die Hauptfiguren nach zehn Jahren wieder über den Weg laufen. Wie es der Titel erahnen lässt, steht das Thema Porno in mehreren Varianten im Fokus und wird zudem mit allerlei Zwischenmenscheleien garniert.
Mit dem Roman „Skagboys“ aus dem Jahr 2012 schließt sich der Kreis, denn er bildet das Prequel zu Trainspotting. In einem Interview sagte Welsh „werde in diesem Buch versucht, Gründe zu finden und die großen Veränderungen zu zeigen: das Ende der schottischen und britischen Großindustrie, die Dominanz rechter und neoliberaler Ideen. Wie sich das auf Gesellschaft und auf Familien ausgewirkt hat, unter welchem Druck sie standen. All das machte aus einer Arbeitergesellschaft auf eine Art eine Drogengesellschaft, wo die Haupteinnahmequellen in den Wohnanlagen, in denen ich aufgewachsen bin, heute aus dem Untergrund kommen. Ich kann mich erinnern, in meiner Kindheit haben alle gearbeitet. Nur wenige bezogen Arbeitslosengeld, lebten vom Staat, und wenige waren für all die fragwürdigen Geschäfte verantwortlich und dealten mit allem, was sich dealen ließ. Als der Arbeitsmarkt kollabierte und es keine Lehrstellen mehr gab, waren auf einmal alle arbeitslos und nur die Untergrundwirtschaft war noch da: Diebstahl, Betrug und vor allem Drogen, denn den Menschen ging es schlecht und sie waren entfremdet, deshalb gab es eine riesige Nachfrage…..Sucht ist nicht nur die Droge selbst. Jede Art Abhängigkeit hat einen Hintergrund, der nicht von der Droge selbst stammt……Viele Menschen, die das irgendwie durchgestanden haben – Leute wie ich, deren Probleme sich mit der Zeit gelindert haben – mussten erst mal die körperliche Sucht loswerden, aber das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, wenn es nach dem Entzug keinen neuen Weg gibt. Keine Alternative im Leben, keine Möglichkeiten, etwas aus sich zu machen, keine Arbeit – wie findet man da einen neuen Platz im Leben, in der Welt?“
Der FILM
Bei der 1996 erschienen Verfilmung führte Daniel Boyle Regie. Diese Funktion sollte er später auch in Filmen wie etwa „The Beach“, „28 Days Later“ und in „Slumdog Millionaire“ wahrnehmen, wofür er im Jahr 2009 den Oscar für die Beste Regie erhielt.
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In 94 Minuten wird im Wesentlichen die Geschichte des Romans erzählt, wobei der versiffte Junkie-Alltag des Romans nahezu deckungsgleich wiedergegeben wird.
Mark Renton lebt etwas unkonventionell. In seinem bekannten Zitat (siehe oben) sagt er zu vielen Dingen „Nein“, die der durchschnittliche BWL-Student doch eher bejahen würde. Dennoch sagt er auf eine selbstzerstörerischen Weise „Ja“ zum Leben. Renton und seine Freunde leben in Edinburgh Anfang der 1990er Jahre. Ihr Leben dreht sich hauptsächlich um Heroin und die Frage danach, wie man schnellstmöglich den nächsten Schuss finanzieren kann.
Die gesamte Clique ist abhängig oder auf dem besten Weg in die Abhängigkeit und Drogen sind der einzige gemeinsame Nenner, der die “Freundschaften” verbindet. Dauerhafter Heroinkonsum kostet. Einnahmen bleiben weitestgehend aus, wenn man nicht arbeitet. In Sachen Geldbeschaffung macht Sucht erfinderisch, was allerdings regelmäßige Konflikte mit der geltenden Rechtslage nach sich zieht. Vermehrte Zwischenfälle veranlassen Mark sein Leben und sich selbst grundlegend zu ändern, indem er versucht wirklich clean zu werden….
Auf dem Soundtrack finden sich neben diversen britischen Vertretern wie etwa David Bowie, Blur, Pulp, New Order und etwa Joy Divison auch Iggy Pop und natürlich Lou Reed, mit der Heroin-Hymne schlechthin „Perfect Day“.
Angeblich plant Danny Boyle den Film Trainspotting, dem literarischen Vorbild folgend, Trainspotting auf Basis des Romans „Porno“ fortzusetzen
Im Jahr 1999 veröffentlichte das British Film Institute eine Liste der hundert besten britischen Filme des zwanzigsten Jahrhunderts, wobei die Verfilmung von Trainspotting den zehnte Platz belegte und dabei vor Klassikern wie etwa Die Brücke am Kwai, Doktor Schiwago, James Bond jagt Dr. No und Clockwork Orange landete.
Das Fazit
Wer das Glück oder Pech einer späten Geburt hatte, der unterliegt auch bei Trainspotting dem „Herr der Ringe“-Syndrom. Dieses Phänomen (selbsterdacht und mit eigener Namensgebung versehen!) bezeichnet die Situation, dass man erst den jeweiligen Film und anschließend das dazugehörige Buch liest. Folglich hat man beim anschließenden Lesen des Buchs, die Bilder des Films vor dem geistigen Auge. Wie beim Schauen von Pornos wird die eigene Phantasie erst gar nicht bemüht. Wer also Tolkines Werke vor 2001 las, ist fein raus, danach wird’s kritisch. Das „Herr der Ringe“-Syndrom dient lediglich als prominentes Beispiel und lässt sich grundsätzlich auf alle Film/Buch-Kombination überbetragen, so auch auf Trainspotting.
Regisseur Boyle hat mit Trainspotting ein zeitloses Meisterwerk geschaffen und bei der Umsetzung des Buches großen Wert auf Details gelegt: Beispielsweise die methaphorische Szene auf dem beschissesten Klo Schottlands (wahrscheinlich die berühmteste Toiletten-Szene der Filmgeschichte) oder die exakte Ablaufbeschreibung des Fixens. Dem späteren Jedi-Ritter Ewan McGregor gelang mit seiner Verkörperung der Hautpfigur Renton der schauspielerische Durchbruch. Kevin McKidd, der den Tommy spielt, ist übrigens als Doktor Owen Hunt in der Serie Grey’s Anatomy zu sehen. Und Jonny Lee Miller, in der Rolle als Sick Boy zu sehen, war der erste Ehemann von Angelina Jolie und teilte sich mit Jude Law und Ewan McGregor eine Wohnung im Londoner Stadtteil Primrose Hill.
Auch wenn Drogen omnipräsent sind, werden sie nicht verherrlicht, sondern deren Konsum detailliert und mit all seinen Begleiterscheinungen dargestellt. Der Zuschauer bekommt zwar aus mehreren Perspektiven ein Gefühl dafür, wie die Droge langsam vom Löffel in die Spritze und schließlich über die feine Nadel in den Körper gelangt, ihre warme watteweiche Wirkung entfaltet aber auch welcher schmutzige Alltag dafür in Kauf genommen werden muss. Die Toilettenszene, in der Renton „eintaucht“ um sein Stoff zu retten, beschreibt dies in eizigartiger Weise: Er greift in das beschissenste Klo Schottlands um seinen Stoff rauszuholen. Was veranlasst jemand, so etwas zu tun? Außer Liebe, Erpressung oder ein riesiger Geldbetrag kommt wohl nur noch Sucht in Frage. Er greift also ins Klo und versinkt in seiner Sucht. Ja er ersäuft fast daran. Bis er schließlich den Weg zurück in die Realtität findet und fast schon in Siegerpose, das Beutelchen mit ausgestreckter Hand gen Himmel reckt. Ist das etwa verherrlichend oder zeigt es, dass man abe einem gewissen Punkt jegliche Hämmungen verliert und sich von seinen Zwängen leiten lässt?
Wie einleitend erwähnt, waren die Rahmenbedingungen damals nicht rosig. Vielleicht wurde eine Sehnsucht nach einem planbaren Leben, der damit verbundene Neid auf die Eltern-Generationen und die Hoffnungslosigkeit darüber, dieses Ziel nie zu erreichen, letztlich mit Heroin kompensiert wird.
Um nicht vollends in sinnbildliche Sphären oder ins Tiefenpsychologische abzudriften, Trainspotting kurzum: Story, Milieubild, Dialoge, Musik – love it!
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