Es gab wohl keinen anderen Store auf der Insel wie Wade Smith, der so wegweisend für die Entwicklung der Casual Culture war. Eigentlich nur ein kleines Ladengeschäft für Sportswear, wie es sie heute überall gibt. Doch es ranken sich Mythen und Gerüchte um diesen Laden in Liverpool, und seinem Gründer und Inhaber Robert Wade Smith wird auch heute noch durch Abbildungen der legendären Ladenfront auf Pins, Stickern und T-Shirts gehuldigt. Für uns ein Grund mehr, Euch den Mythos von der Merseyside auf unserer Blogbühne vorzustellen.
Wie gesagt: Die Geschichten darüber, wie der damals erst 21-jährige Robert Wade Smith dazu kam, seinen eigenen Laden in Liverpool zu eröffnen, sind fast schon Legion. Sie handeln von Reisen in die entlegensten Winkel Europas auf der Suche nach Produkten, von zufälligen Begegnungen mit Fußballfans und von mit D-Mark gefüllten Turnbeuteln. Und auch, wenn die Gründungsjahre des Ladens eine eher romantisierende Aura umwabert, ist eines unbestritten: Smith hatte eine Vision. Und zwar die, dass aus der Terrace Culture, die sich in der Stadt – und bald auch auf der gesamten Insel – ausbreitete, ordentlich Kapital zu schlagen ist.
Damals, in den frühen 1980er Jahren, gab es schließlich weder Facebook noch Instagram, um sich über die neuesten Trends und Releases zu informieren. Auch eine Sneakerszene, wie wir sie heute kennen, gab es damals natürlich noch lange nicht. Wenn man die begehrten adidas-Modelle wie etwa den Trimm Trab, ZX 500 oder Forest Hills kaufen wollte, ging das meist nur über Mundpropaganda. Es gab zwar hier und da ein paar Geschäfte, in denen man schon mal einen Glückstreffer landen konnte, aber das Angebot war längst nicht so umfassend, um die Nachfrage zu stillen.
Wer im Norden Englands auf der Suche nach eher seltenen adidas-Modellen war, der konnte es etwa in einem Sportbekleidungs- und Golfgeschäft namens Hurleys in Manchester versuchen. Wie die Bezeichnung schon andeutet, bediente Hurleys eher den traditionellen, gut situierten Golfer und hatte daher auch einige Marken im Sortiment, die sich unter Football Casuals bald großer Beliebtheit erfreuen sollten – Lacoste und Fila etwa, und eben auch Turnschuhe von adidas. Wobei letztere eine recht geringe Halbwertszeit im Laden hatten, denn im Zuge der in den späten 70er und frühen 80er Jahren stetig wachsenden Subkultur aus den Fußballstadien waren die Schuhe mit den drei Streifen oft innerhalb von Minuten schon wieder ausverkauft.
Das blieb natürlich auch Robert Wade Smith nicht verborgen, der zuvor für Topshop in Liverpool gearbeitet hatte. Er sah ein riesiges Potenzial in der Casualszene, die sich mit den begehrten adidas-Modellen vom Kontinent ausstatten wollte – und er sah die Möglichkeit, mit dieser neuen Käuferschicht auch ordentlich Reibach zu machen. Angesichts der wachsenden Nachfrage nach Freizeitmode und adidas-Turnschuhen eröffnete er 1982 in der Hausnummer 11 in der Liverpooler Slater Street seinen ersten Laden, in dem er sich ausschließlich die Liebhaber dieser neuen und lässigen Sportswear spezialisieren wollte.
Nachdem das Ladenlokal klargemacht war, räumte er sein Bankkonto leer und machte sich in einem Lieferwagen auf den Weg nach Europa. Seine Mission: seine Topshop-Kontakte nutzen und das Auto vollpacken mit seltenen Turnschuhen vom Festland, die eigentlich als zu teuer und daher unverkäuflich galten für das damals von einer Rezession gebeutelte Großbritannien. Soweit zumindest die Theorie. Denn es geht die Legende, dass Smith seine erste Ladung unterwegs gleich mal wieder gezockt wurde. Aber was er nicht wollte, war mit leeren Händen zurückzukehren. Und so gabelte er am Ende doch noch 30 Paar auf, die er dann in seinem Liverpooler Shop unter das begierige Casual-Volk brachte.
Und seine Entschlossenheit zahlte sich aus: Innerhalb der ersten sechs Wochen soll er gut 500 Paar adidas-Trainer verkauft haben, bereits nach wenigen Monaten konnte er den „break even“ vermelden, der nach seinem Geschäftsmodell eigentlich erst nach einem Jahr hätte erreicht werden sollen. Mehr noch: Das clevere Kerlchen schrieb damit ein Stück weit Geschichte und veränderte mal eben das Gesicht der britischen Herrenmode für immer. Denn über die Casuals oder Dressers, wie sie früher genannt wurden, aus Liverpool und andere Subkulturen drang die Marke aus Herzogenaurach unverrückbar in die DNA britischer Freizeitkleidung ein.
Dem „Liverpool Echo“ zufolge hat Wade Smith in den 1980er Jahren rund 110 000(!) Paar des adidas Trimm Trab verkauft. So irre diese Zahl auch erstmal wirkt – sie scheint gar nicht so unrealistisch. Denn der Laden von Wade Smith wurde schnell zur Legende, und an den Spieltagen an der Anfield Road und im Goodison Park pilgerten auch massenweise Auswärtsfans dorthin, um sich mit einem exklusiven Trainer auszustatten.
Und je seltener der Import, desto besser natürlich. Logisch, dass Robert künftig regelmäßig durch Europa tourte, um alles einzukaufen, was drei Streifen hatte und nicht schnell genug vor ihm versteckt werden konnte – von den limitierten Auflagen der Cagoules bis hin zu den adidas Grand Slams.
Der Grundstein war also gelegt, und als die Casual Culture sich in den 80er Jahren immer mehr mit der Acid-House-Szene durchmischte, blieb dies Robert natürlich nicht verborgen. Der begann umgehend damit, neue Möglichkeiten aufzutun, um auch von diesem Trend ordentlich profitieren zu können. Die Rave-Kultur war nun das neue heiße Ding und damit stieg auch die Nachfrage nach neuen Marken und Accessoires (Stichwort: Bucket Hats!).
Auch das ging einige Zeit lang gut, doch aus Casual-Sicht ging es anschließend mit dem legendären Laden eher bergab. Mit dem Umzug an eine „bessere“ Adresse wurden mehr und mehr High-Fashion-Brands wie Prada und Gucci ins Sortiment genommen und der Store entwickelte sich vom Casual-Mekka zusehends zu einem Tummelplatz für Spielerfrauen.
Es kam, wie es kommen musste: Die Herren aus dem ganz großen Business leckten Blut und so verleibte sich die Arcadia-Gruppe, zu der auch Topshop gehört, 1998 Wade Smith für 17 Millionen Pfund ein. Unzufrieden mit der Entwicklung seines Babies kaufte Robert ihnen drei Jahre später den Laden zwar für nun noch 7 Millionen Pfund wieder ab, aber 2005 war dann endgültig Feierabend. Wade Smith schloss seine Türen für immer – aber es trat ab als eine Legende für die Stadt Liverpool und die Casual-Kultur.