Over Land & Sea: Newcastle – it´s grim up north

Sie zählt nicht zu den größten Städten Englands, doch die im Nordosten gelegene Stadt Newcastle blickt dennoch auf eine 2000-jährige Geschichte zurück. Bis die Zechen in den 1970ern allmählich schlossen, Arbeitslosigkeit und Resignation folgten, verdankte die Stadt ihren Wohlstand der Kohle. Nach wie vor ist man hier Stolz auf den Club Newcastle United und seine Heimstätte mit dem klangvollen Namen St. James Park. Bereits 1892 eröffnet, gehört er zu den ältesten seiner Art in Nordengland. Nicht nur deshalb stand ein Besuch ziemlich hoch im Kurs, denn in Newcastle soll das Nachtleben exzessiv sein. Exzessiv im Sinn von sehr exzessiv! So berichteten zumindest alle, die schon einmal hier waren und von den Weekendern schwärmten. Wie wild es hier manchmal werden kann, zeigt die von mir mit dem „Prädikat besonders wertvoll“ prämierte Reality-TV-Serie „Geordie Shore“. Wer es nicht kennt, stellt sich am ehesten eine Mischung aus dem Kulturprogramm „Berlin Tag und Nacht“ in Verbindung mit dem unzensierte Video zu „Smack my bitch up“ von The Prodigy vor. Voilà.

Diesmal ging es mit Arbeitskollegen auf die Insel, via KLM über Amsterdam. Der Kranich fliegt leider nicht mehr direkt; vermutlich aus Sorge, dass die Flugbegleiterinnen im kleinen Babylon Nordenglands versumpfen. Am Zielort angekommen begrüßten die verheißungsvollen Worte „Welcome to Barbour Country“ die Passagiere in der Ankunftshalle. Schon der zweite Absatz des Reiseberichts und ich habe vor lauter Nachtleben und Fußball fast meine kleine Pilgerreise zum heiligen South Shields unerwähnt gelassen: Der Heimatstadt von Barbour. Mit Kollegen auf Reisen nicht dienstlicher Natur zu sein, hat immer etwas zwischen Studienfahrt und Saufgelage und entsprechend wurden die Kannen ordentlich aufgerissen. Aber zwang- und kopflos wie früher war das nicht. Denn wenn ich mich an die Zeit vor dem Siegeszug der mobilen Endgeräte erinnere, war alles irgendwie lockerer. Heute, dank dieser „untappd“ App wird ein großes Augenmerk darauf gelegt wer, was getrunken hat, wer führt und welches Bier noch in der Sammlung fehlt. Früher wurde einfach drauflosgesoffen. Da trinkt man heute doch eher etwas fremdbestimmter. Wohl dem, der unbekümmert trinkt. Nun ja, aufgrund des „social media geförderten Alkoholismus“ waren jedenfalls schon ordentlich Atü auf dem Kessel und nur so kann ich es mir im Nachhinein erklären, dass wir so einer Tante mit „Einmal bezahlen, in exquisite Clubs reinkommen“ und dann „kostenlose Shots“ mit 5GBP bezahlten. Wahnsinn, einfach mal so (fast) im Kollektiv einer Seelenverkäuferin in die Arme gelaufen und dann noch ihren „Argumenten“ erlegen. Das ist Babylon 🙂

Kurz zur Lage vor Ort. Sucht euch ein zentrales Hotel oder wie wir das Jury´s Inn in Bahnhofsnähe. Die Innenstadt hat keine sonderlich große Fläche und alles ist fußläufig erreichbar. Aber selbst Taxi bzw. Uber sind hier sehr erschwinglich. In der Herberge konnte man gedämpfte Musik und reges Treiben auf den Gängen vernehmen. Eigentlich waren überall nur Gruppen untergebracht, die gewissermaßen mit einheitlicher Zielsetzung dem Nightlife in Newcastle verfallen wollten.
Nach dem „Vorglühen 2.0 extended Version“ mit kubanischer Freiheit und diversen Bieren, die, richtig, in der App noch fehlten, sollte unsere erste Station die Craft Beer Lokalität „BrewDog“ sein. Ganz genau, hier sollte dann ebenfalls die „untappd“ mit einigen Raritäten gefüttert werden. Stichwort „fremdbestimmtes Trinken“. Ihr findet den Laden zwischen der historischen Grainger Town und der malerischen Qayside. Die Filiale von Brew Dog war sehr gut besucht und ohne vorherige Reservierung findet ihr vermutlich an den Wochenenden kaum Platz. Unser Plan sah vor, sich hier gemütlich ein paar Biere reinzustellen und etwas zu essen, bevor es dann weiter Richtung Bigg Market Schrägstrich Nachtleben geht. Biernachschub funktionierte zwar ohne Probleme, aber das mit dem Essen stellte sich als schwierig heraus. Eine Pizza (für sieben Leute!) hatten wir bekommen. Essen gibt es hier nur mittags oder gegen eine vorherige Info bei der Reservierung. Also zogen wir nach nur einer Runde weiter und fanden mit Glück noch ausreichend Platz bei einem Inder. Chicken Tikka Massala, Cobra Bier und Mango Lassie. Die Grundlage war geschaffen.

Jetzt aber Feuer frei und zum Bigg Market, der nach vorheriger Recherche Mittelpunkt zahlreicher Weekender sein soll. Ich sags mal diplomatisch: Das dortige Treiben enttäuschte nicht. Das nasskalte nordenglische Winterwetter hielt die Damenwelt nicht davon ab, ein 30 Grad im Schatten-Outfit zu tragen. Nur das Wetter hielt uns davon ab, uns mit Bier einzudecken, eine Sitzgelegenheit zu suchen und einfach das gebotene Spektakel auf der Gasse zu genießen. Die Damen in ihren dünnen Fetzen, kurzen Kleidern und High Heels, die nun die schwere Aufgabe hatten trotz sich anbahnender Erfrierungen und einem hohen Pegel, sich auf den Beinen zu halten. Hier wurde geschrien, allerorts getrunken und dort gekotzt. Kleine Rangeleien unter den vermeintlichen Platzhirschen wurden schnell und friedlichen beendet.
Früher wurde auf dem Bigg Market Gemüse verkauft, heute ist es ein Umschlagsplatz des Alkohols und des Vergnügens. Und eine große Fleischbeschau! Die einzigen, die aus dem Rahmen fielen waren wir wegen unseren Winterjacken, Schals und weil wir keinerlei Schwierigkeiten mit der Motorik hatten.

Next day, Matchday. Das morgentliche alkoholbedingte Wundenlecken fand im The Victoria Comet statt, dem Pub gegenüber des Hauptausgangs vom Bahnhof. Das Full English Breakfast war wirklich klasse. Bereits seit dem 1800 Jahrhundert beherbergt das Gebäude ein Pub oder besser gesagt zwei Pubs. Einmal The Victoria und einmal The Comet, die im Laufe der Zeit zu einer großen Lokalität zusammengelegt wurden. Das Victoria Comet war übrigens 1972 Drehort des Gangsterstreifens „Get Carter“ mit Michael Caine.
Ein Teil der Reisegruppe fuhr mit der Bahn zum Heimspiel von Middlesborough, der Rest zog erst einmal Richtung City Center, um etwas von der anderen Seite der Stadt zu sehen. Okay, es war nur die Einkaufsstraße, aber das was man sah, hatte mir gefallen. Sehr viele alte Gebäude und Shoppingmöglichkeiten. Ich machte lediglich einen kurzen Stopp bei End Clothing, aber trotz einer größeren Auswahl als in Glasgow, blieb der Eindruck der gleiche. Der Shop war mal meine Hauptbezugsquelle gewesen, aber nun setzt man hier nur noch auf die sogenannten Hypemarken.

Auf dem Weg zum St James Park machte unser Tross einen kurzen Halt bei einem kleinen Spanier mit Cerveza y Cortado con Leche. Das Stadion ist übrigens ebenfalls fußläufig von der City aus zu erreichen und man sieht schon die Dachkonstruktion von der Einkaufsstraße aus. Das Ding ist schon ein Knaller. Alles recht hübsch hergemacht. Die Toons pilgern zu Tausenden zu ihrem Ground. Der Aufsteiger Newcastle United verfügt in der laufenden Saison über einen knackigen Zuschauerschnitt von 52.000, selbst in der Zweitligasaison war der St. James Park mit einem Schnitt von 51.100 hervorragend besucht gewesen. Ein Zuspruch, der sich mancher Verein sicherlich wünschen würde. Dementsprechend hatte ich heute eine romantische Hoffnung auf eine gute Atmosphäre in der Premier League. Auf der Heimseite gab es sogar ein kleines Intro in Form von drei Blockfahnen und großen Doppelhaltern und die ersten zehn Minuten wurde sich auch stets bemüht den NUFC nach vorne zu singen. Was dann aber folgen sollte, hatte ich bereits befürchtet: Nichts. Es ist einfach nur mit „Nichts“ zu beschreiben. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können und ich hatte auch keine Ahnung wo denn der Gästeblock ist. Man sah und hörte einfach nichts von den Gästen aus Swansea. Die Nachfrage bei meinem verwundert dreinblickenden Sitznachbarn ergab, dass wir lediglich 15 Meter entfernt des Gästeblocks saßen. Ah ja. Danke dafür.
Wir saßen auf der erhöhten Hintertortribüne im Oberrang. Das Spiel war trotz der zahlreichen Chancen für die Heimmannschaft erschreckend schwach und auch auf den Tribünen passierte wie gesagt nichts. Halbzeit, das bedeutet runter an die Buden, Steak Pie und einen Durstlöscher hinterher. Bisschen überrascht war ich, dass auch Gin Tonic und Jacky Cola angeboten wurde, aber hey, Newcastle muss auch hier dafür sorgen, dass die Party nie endet. Apropos endet. Wäre ich bloß an der Bude geblieben, denn es waren quälend lange 90 Minuten, die nicht enden wollten. Schließlich trennten sich die beiden im Abstiegskampf steckenden Mannschaften mit einem 1:1. Im Gänsemarsch ging es mit den anderen Stadionbesuchern durch Chinatown wieder in die City zurück.
Das Abendprogram musste ich wegen anhaltenden Zahnschmerzen stark kürzen und so war ich nur bei Italian´s Jamie, einer kurzen abschließenden Runde und einer Jägerbomb wieder im Hotel.

Am Sonntagmorgen klingelte mein Wecker recht früh. Ich wollte die Gunst der Stunde nutzen und in South Shields der Firma Barbour einen Besuch abstatten. Wie ich bei meinen Nachforschungen im Vorfeld herausfinden konnte, fährt auch sonntags alle 20 Minuten eine Metro vom Newcastle Station an die Küste. Das Factory Outlet hat zudem geöffnet und man hat ja immer diese leise Hoffnung, dass man dort dann auch etwas finden könnte. Fahrt bis zu Station „Bede“ und beim Verlassen der Metro Station einfach links halten und ihr seht bereits das Schild mit dem magischen Wort „Barbour“. Rechts neben dem Fabrikverkauf findet man die heimische Fabrik, aber erwartet architektonisch nicht all zu viel, denn hier sieht es aus wie es in jedem handelsüblichen Industriegebiet eben aussieht. Beim Betreten des Outlets war ich aufgrund der Präsentation der Produkte doch sehr angetan gewesen. Überall hingen die lieblich verlockenden Sale Schilder. Beim Studieren der Preise musste ich dann leider feststellen, dass es sich im Eingangsbereich um den neugeschaffenen Retail Shop handelte. Hier findet ihr die aktuell angebotenen Kollektionen und Waren von Barbour und Barbour International zum fast normalen Verkaufspreis. Außerhalb von der Sale Saison keine budgetschädigen Käufe. Weiter hinten und leider im Antlitz und Aufmachung eines typischen Factory Outlets kommen wir dann zum ernsteren Teil der Geschichte. Es gab allerhand verschiedener Saisons inkl. den Zusammenarbeiten mit White Mounteering, aber man muss sich einfach mal Zeit nehmen und sich durch die Sachen kämpfen. Ich war dafür allerdings zu müde und mein Zahn machte weiterhin Probleme. Also ab zur Metro zurück um die Reise in den Ort South Shields fortzusetzen.

South Shields ist ein malerischer Küstenort, mit rund 89.000 Einwohnern an der Mündung des Flusses Tyne gelegen, der in der Nordsee mündet. Ich komme aus dem kleinen Bahnhof runter und schon kann ich die Möwen hören; ein Geräusch, das mich bis zu meiner Rückfahrt begleiten sollte. Kurz den Blick nach links und rechts geworfen, die kleine Einkaufsstraße und Lokalitäten begutachtet und sehr von der großen Auswahl überrascht gewesen. Sogar einen Casual Outfitter namens Northern Threads gibt es hier, bei dem ich vor ein paar Jahren sogar schon mal was bestellt hatte. Allerdings hatte ich keine Zeit zu verlieren, denn der Rückflug ging bald und ich wollte unbedingt das Logo von Barbour und einem der Wahrzeichen von South Shields meine Aufwartung machen: dem roten Leuchtturm an der Tynemündung. Haltet euch rechts und lauft zum Ende der Einkaufsstraße und nicht nach links in Richtung Hafen. Nach knapp 1,5 Km kommt ihr zum Little Haven Hotel und schon kurz davor kommt ihr hinter einen kleinen Düne auf die Groyne Promenade. Auf dem Weg dahin hatte ich einen ziemlich guten Eindruck warum die ikonischen Wachsjacken von Barbour hier ihren Ursprung hatten. Im hier vorherrschenden rauen Klima kann man den Wert einer wetterfesten Kleidung nur zu schätzen wissen. Auf dem Rückweg in die Stadt habe ich mir nur kurz was für zwischen die Kiemen besorgt bevor es dann mit der Metro in gut 25 Minuten wieder zurück nach Newcastle ging. Nach einer kurzen Runde im Newcastle Tap, einer Craft Beer Lokalität am Bahnhof, ging es dann mit dem Uber zum Flughafen und von dort wieder über Amsterdam nach Frankfurt zurück.

Memo an mich
Auf einer Liste der weltweit besten Partystädte belegte Newcastle kürzlich einen Platz unter den Top 10 und noch vor London. Und ja, Newcastle hat definitiv nicht enttäuscht und das Ranking bestätigt.

Ich möchte nicht wissen, was sich hier von Mai bis August abspielt. Ich meine noch aufreizender scheint es kaum möglich. Eigentlich möchte ich es doch wissen, deshalb:
Flüge für die Sapeur-Crew für eine wärmere Reisezeit finden.