Hola Sapeuristen,
ein weiterer Auszug aus Buenos Aires folgt und dieses Mal steht der Bericht ganz im Zeichen des Fußballs. Übrigens war ein kleiner Fehler der Grammatik- und Leseschwachen Redaktion vorangegangen. Das hier ist der Teil Vier, den wir nun 4.1 genannt haben. Verzeiht uns, wir sind immer noch ganz uffgerescht, dass mer die Torjägerkanone habbe ;o)) Und wo mer schon bei de Kritik sind, Markus bekommt das nächste Mal ne Kamera von uns. Bei dene Bilder mit seinem Nokia Knochen kann ja niemand was erkenne. Von de Motive ganz zu schweige. Nur Auge für Quilmes und Chicas guapa gehabt der Kerl…
Samstag, 02.05.2015
Am frühen Morgen dieses ersten Mai-Samstags hätte man sicherlich trefflich darüber streiten können, ob die Erfindung des Internets und somit der Empfang des Web-Radios ein Fluch oder ein Segen ist. Egal zu welchem Ergebnis man selber dabei kommt, aber dieses Web-Radio bescherte uns am Frühstückstisch die Liveberichterstattung aus dem Bremer Weserstadion. Mein Beileid an alle Anwesenden in Bremen, wenn es vor Ort nur halb so schlecht gewesen ist, wie es im Radio rüber gekommen ist. Da bist Du nun also rund 11.000 Kilometer von daheim entfernt und bekommst trotzdem schon wieder einen dicken Hals. Im Gegensatz zu den Gequälten im Gästekäfig des Bremer Weserstadion sollte unser Tag nach der Berichterstattung erst noch Starten und am späten Nachmittag stand das sportliche Highlight auf dem Programm. Das Heimspiel und Stadtderby von CA San Lorenzo gegen Velez Sarsfield, welche übrigens auch eine ganz nette Schüssel als ihre Heimat bezeichnen.
Vorab noch ein paar Worte zum Meisterschaftsmodus in der ersten argentinischen Liga. Wie sicherlich der ein oder andere Fußballbegeisterte mitbekommen hat, gab es dort einige Änderungen. Bisher wurde pro Halbjahr ein Meister ermittelt. Die beiden Halbjahres-Meister einer Saison spielten in einem Finale quasi den Gesamtmeister der Saison aus. Ab dieser Saison wird allerdings wie bei uns eine einfache Saison mit Hin- und Rückrunde gespielt. Die Liga besteht aus 30 Mannschaften! Das bedeutet die Saison umfasst mindestens 58 Spiele (!) und dazu kommen dann noch mal zwei Partien (Hin- und Rückspiel) gegen den größten Rivalen. Auf diese Art und Weise will man natürlich in erster Linie garantieren, dass es die Partie zwischen Boca und River mindestens viermal in der Saison gibt. Wer die restlichen Bonusspiele festlegt und in welcher Konstellation diese stattfinden, konnte ich leider nicht abschließend herausfinden.
Der Meister, Vize-Meister und Pokalsieger qualifiziert sich direkt für die Copa Libertadores, welches die Champions League von Südamerika ist. Die Mannschaften auf den Plätzen drei bis sechs bilden zwei Halbfinale (3.-6. und 4.-5.) und die Sieger der beiden Halbfinale spielen in einem Finale des letzten freien Platz in der Copa aus. Der unterlegene Finalist darf automatisch in der Copa Sudamerica (identisch mit der Euroleague) antreten. Die Verlierer der beiden Halbfinale dagegen müssen sich mit den Mannschaften auf den Plätzen 7 bis 18 auseinander setzen und noch vier weitere Copa Sudamerica-Teilnehmer ermitteln. Wer nun meint, dass das schon alles ziemlich schräg ist, wird bei der Abstiegsregelung mal richtig mit den Ohren schlackern! Zwei Teams müssen am Ende der Saison absteigen, aber nicht etwa die beiden schlechtesten Teams der aktuellen Saison, sondern jene beiden Mannschaften, welche seit einschließlich der Saison 2011/2012 den niedrigsten Punkteschnitt pro Spiel in der ersten Liga erreicht haben. Dieser absurden Regelung war es auch vor rund vier Jahren geschuldet das River in die zweite Liga absteigen musste, obwohl sie in der damaligen Runde auf einem Mittelfeldplatz die Spielzeit abgeschlossen hatten. Theoretisch wäre es somit auch in Argentinien möglich, dass sich der Verein auf Platz 18 (von 30) für die Copa Sudamericana qualifiziert und dennoch gleichzeitig absteigen müsste. Bekloppt! Die Abstiegsregelung führt auch dazu, dass die Sportzeitungen immer zwei Tabellen abdrucken. Zum einen die aktuelle sportliche und zum anderen jene Tabelle, welche sich an dem erreichten Punkteschnitt orientiert. Keine Sorge an dieser Stelle ist die Exkursion abgeschlossen und wer jetzt noch fit zwischen den Ohren ist wird mit meinem Bericht zum Spiel belohnt.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Nachbarschaft der Heimstätte von San Lorenzo eher nicht zu den bevorzugten Wohngegenden gehört, zogen wir es dieses Mal vor mit dem Taxi direkt anzureisen. Rund zwei Stunden vor dem Spielbeginn (18 Uhr) machten wir uns entsprechend auf den Weg und obwohl es eigentlich nur acht Kilometer zum Stadion gewesen sind, dauert die Taxifahrt wieder eine gefühlte Ewigkeit. Der Preis war allerdings wie immer relativ human. Am Stadion angekommen erhielten wir von unserem Kutscher noch die Instruktion auf keinen Fall in das benachbarte Viertel hinein zu laufen. Beim Blick über die Straße wäre dieser Plan allerdings auch ohne seinen Hinweis direkt verworfen worden. Das Viertel hätte durchaus auch eine Berechtigung im Stadtgebiet von Rio de Janeiro. Auf der anderen Seite des Stadions befindet sich dafür ein kaum weniger einladendes Industriegebiet. Die Gegend ist also eher nichts zum Flanieren. Zum Stadion bzw. zum Standort des Stadion sei noch angemerkt, dass die Betonschüssel im Verhältnis zu anderen Stadien im Stadtgebiet recht jung ist. Die eigentliche Heimat von San Lorenzo konnte aus finanziellen Gründen nicht gehalten werden und musste einem Supermarkt weichen. Mittlerweile ist es dem Verein und seinen Anhängern gelungen, dass sich dieses Grundstück wieder in ihrem Besitz befindet und der Supermarkt entfernt wurde. Im nächsten Schritt will man wieder an dieser Stelle ein Stadion errichten, aber im Augenblick scheitert dieses Projekt schlicht an den nicht vorhandenen Mitteln. Ich drücke an dieser Stelle gerne die Daumen, dass dieser Verein mittelfristig wieder zu seinen Wurzeln zurückkehren kann.
Kurze Zeit nach unserer Ankunft rollte auch der Mannschaftsbus der Gäste über die Straße zum Stadion, welcher von rund acht Polizeimotorrädern begleitet wurde. Jedes Motorrad war mit zwei Beamten besetzt, wobei der Beamte auf dem Sozius bewaffnet und beinah im Anschlag mit seiner Schrottflinte sehr genau die Bewegungen am Straßenrand im Auge behielt. Seine Geste war auch für Fremde wie uns sehr eindeutig zu verstehen! Wer kein Schrott in die Rippen bekommen will, sollte sich vom Bus fernhalten. Verständlicherweise haben wir es dann vorgezogen ins Stadion zu gehen. Allerdings war unser Eingang auf der anderen Seite des Areals. Also durfte auch noch der romantische Fußmarsch durch das Industriegebiet nicht fehlen.
Am richtigen Eingang sollte uns dafür eine kleine Futtergrippe mit leckeren Burgern vom Grill für den Marsch ums Stadion entschädigen. Nach der Stärkung wurde die Gegengrade betreten. Die Kontrollen am Eingang wurde zwar von motiviert wirkenden Polizeibeamten durchgeführt, aber waren am Ende ähnlich lax wie wir es aus der Bundesliga kennen. Nach einem kurzen Treppenaufstieg befanden wir uns auch bereits vor dem Eingang zu unserem Sektor. Eine Futterhütte und ein kleiner Fanshop waren dort ebenfalls aufgestellt. Im Fanshop stand unser Mann aus der Innenstadt mit deutscher Ehefrau. Einer kurzen Begrüßung folgte noch die Begutachtung der Fanartikel. Die Auswahl der Fanartikel ist aber sehr Überschaubar. Drei Shirts in zwei Größen wovon jeweils drei Stück vorrätig sind und einige Schals. Generell war unsere Erfahrung, dass auch die Sportgeschäfte in Buenos Aires kaum Fanartikel von San Lorenzo hatten, sondern in erster Linie nur von Boca und River. Irgendwie gefällt mir immer mehr mein eigener Vergleich unsere Eintracht mit San Lorenzo. Boca und River kann man dagegen mit Dortmund und Bayern gleich setzen. Der zweite Mann am Verkaufsstand geriet dafür ein wenig in helle Aufregung, weil ein Mitglied unserer Gruppe ein echtes Fred Perry Shirt trug. Scheinbar ist diese Marke hier zwar bekannt, aber kaum zu bekommen und somit etwas sehr exotisches. Ein Eindruck den ich generell in meiner Zeit in Buenos Aires hatte. Markenklamotten sind eher die Ausnahme und wenn dann in erster Linie nur auf Sneakers oder Trainingsjacken des eigenen Vereins begrenzt. Der Casual-Look, welcher insbesondere auf unserem Blog propagiert wird, ist im Stadtbild wie im Stadion eigentlich nicht zu finden.
Eine knappe Stunde vor Spielbeginn nahmen wir unsere Plätze in der ehrwürdigen Betonschüssel in Beschlag. Wie bereits bei unseren 3. Liga-Spielen sollten auch hier die meisten Plätze noch leer sein. Lustig ist auch, dass die Eintrittskarte oft nur Auskunft über den Sektor gibt und dort frei Platzwahl vorherrscht, aber Vorsicht! An einigen Plätzen ist eine offizielle Plakette des Vereins angebracht, welche eine Mitgliedsnummer und einen Namen ausweist. Dieser Platz gehört einem Dauerkartenbesitzer und darf nicht besetzt werden. Irgendwie ganz nett der Gedanke, dass der eigene Name fest im eigene Stadion angebracht ist.
Die Zeit bis zum Anpfiff wurde mit einigen Schnappschüssen und der Verkostung von gebrannten Nüssen verbracht. Die erste akustische Note wurde beim Einlaufen der Gäste abgegeben, welche eine wüste Beschimpfungsarie über sich ergehen lassen musste. Die eigene Mannschaft wurde dafür mit einem warmen Applaus in Empfang genommen. Nach und nach füllte sich die Heimkurve und die typischen südamerikanischen Bänder wurden durch die Kurve gezogen. Der Platz zentral unten in der Kurve blieb allerdings unbesetzt, weil dieser der örtlichen Barra mit Ihren Instrumenten vorbehalten ist. Auch unserer Sektor füllte sich merklich allerdings mit erstaunlich vielen Familienvätern samt Kind und jungen Frauen. Beim ach so gefährlichen Stadionbesuch in Argentinien hatte ich doch ein anderes Klientel erwartet. Es wird halt definitiv nirgendwo so heiß gegessen wie es gekocht wird.
Langsam begannen die ersten vertrauten Melodien (Youtube macht es möglich) aus der Heimkurve zu erklingen. Mit dem Einlauf der Teams steigerte sich die Lautstärke merklich was aber weniger an den Spielern sondern an der Barra gelegen hat, welche nun unter großer Anteilnahme auf der Tribüne einzog. Die ganze Kurve geriet ins Hüpfen und melodische Singen. Es war wirklich Gesang und doch so laut, dass es schallte, obwohl kein Dach über die Kurve zu sehen war. Gänsehaut pur! Für diesen Moment hatten sich alle Strapazen, Ausgaben und Anstrengungen mehr als ausgezahlt. Einige Mal an diesem Abend sollte diese Begeisterung und diese Herzblut in den Melodien auch auf die Gegengrade überspringen. Auch die eben noch erwähnten Väter, Söhne und jungen Frauen erhoben sich von ihrem Platz und begannen zu springen, zu singen und die typische schwingende argentinische Armbewegung zu machen. Es war einfach geniales Erlebnis! Der rhythmische Klang der Melodien ließ auch uns nicht kalt. Es riss einem förmlich aus dem Sitz und man versuchte zumindest in das rhythmische Klatschen (typisch Deutsch) einzustimmen. Ich würde Tränen in den Augen haben, wenn wir nur ein einziges Mal in Deutschland so in der Kurve singen würden. Mehr kann ich dazu an der Stelle nicht schreiben. Man muss es erlebt haben.
Die spielerische Note des argentinischen Fußballs kann man dafür auch in der ersten Linie vergessen. Die guten Spieler sind eben in Europa und der Argentinier an sich ist auf dem Platz doch eher ein Engländer als ein Brasilianer. Die Leidenschaft der Kurve ist allerdings auch auf dem Platz greifbar. Jeder Spieler wirft sich in jeden Zweikampf und nicht selten enden diese Zweikämpfe mit einem Überschlag und einer handfesten Keilerei. Meine persönlichen Highlights waren dabei zwei Szenen. In der ersten Szene bekamen sich zwei Spieler in die Haare und streckten sich gegenseitig mit Kopfnüssen nieder. Die Strafe des Schiedsrichters folgte direkt und in Form von zwei gelben Karten! Ja Gelb und nicht Rot! In der nächsten Szene gerieten dann beiden Teams fast vollständig aneinander! Ein Glück, dass die Eckfahnen jeweils von einem Polizisten in voller Montur samt Schild bewacht werden. Die Sicherheitsprofis stürmten dann auf den Platz und beendeten die kleine Auseinandersetzung. Der Schiedsrichter hingegen sah überhaupt kein Grund hier einzugreifen und zeigte lediglich weiterspielen an als die Herrschaft von der Polizei das Feld geräumt hatten. In unseren Breiten hätte wohl alleine diese Aktion für einen handfesten Skandal gesorgt, welcher in diversen Task Forces geendet wäre, die wiederum der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern dazu genutzt hätte ganz klar zu erklären, dass dieses Gebaren auf 1. Liga-Sportplätzen in seinem Bundesland nicht geduldet wird. Da sind die Argentinier uns einfach etwas voraus und sparen sich die ganze sinnfreie heiße Luft, welche in unseren Breiten produziert wird. Am Ende konnte San Lorenzo einen knappen aber verdienten 2:1 Sieg einfahren, welcher natürlich mit einigem Applaus gefeiert wurde. Die Freunde des italienischen Fußballs hätten heute sogar einen alten Bekannten wiedergesehen, weil bei San Lorenzo Mario Yeppes im Aufgebot stand, welcher zuletzt u.a. seine Kickstiefel in Bergamo schnürte.
Nach dem Spiel wurde man aus dem Stadion in die dunkele Umgebung gespült was die Sache nicht Vertrauenswürdiger machte. Auf der Suche nach einem Taxi wurde man aber schnell fündig. Bei dem Fahrer handelte es sich ganz nebenbei um einen Anhänger von San Lorenzo, welcher scheinbar selber grade auf dem Heimweg gewesen ist und so noch einen schnellen Peso machen konnte. Ganz nett war auch die Tatsache, dass der gute Mann statt eines Radios einen kleinen Bildschirm im Armaturenbrett hatte und man so die argentinische Sportschau auf der Fahrt anschauen konnte.
In San Telmo angekommen wurde logischerweise auch dieser Abend standesgemäß in einem Lokal mit leckerem Essen und einigen Flaschen Quilmes ausklingen gelassen. Morgen sollte immerhin das nächste Spiel folgen…
Markus