„Hip Hop war für mich als Kind schon ein Weg, darauf aufmerksam zu machen, dass es mich gibt“, verrät Rapper und Produzent Moses Pelham in der neuen vierteiligen hr-Doku „Dichtung und Wahrheit“. Hier kommt ausschließlich die Community zu Wort: Legenden und Zeitzeugen erzählen aus ihrer persönlichen Perspektive, was Frankfurt für die Geschichte des Hip Hops bedeutet.

Moses Pelham Bild © HR

Vor 40 Jahren landete in Frankfurt eine Subkultur, die ganz Deutschland überrollte. Hier stationierte US-Soldaten bringen  Hip Hop  nach Deutschland. In Frankfurt wird diese Subkultur dankend aufgenommen. Die Stadt ist ein Schmelztiegel der Nationen, Banken- und Drogenwelt prallen aufeinander, die hessische Tradition trifft urbanes Lebensgefühl. Geprägt von Rassismus-Erfahrungen, Armut und Kriminalität, aber auch von der Power der Selbstermächtigung gehen aus Frankfurt künstlerische Revolutionäre hervor:
 Hip Hop  ist ihr Sprachrohr.

Was die Doku meines Empfindens jedoch so spannend macht ist, dass neben den großen und bekannten Artists auch die Local Heroes vergangener Tage zu Wort kommen und Frankfurt sich als Wegbereiter präsentieren darf. Rapper, Writer, Breaker und viele mehr, die ebenfalls den Hip Hop am Main geprägt haben. Es ist eine Reise zurück in meine Jugend mit Jams, Heckmeck, den Clubs, Plattenläden und den in Mainhattan stationierten und überall anzutreffenden GI´s, die zweifelsohne der Impulsgeber waren. Filme wie „Beatstreet“ oder „Wild Style“ waren der Kickstart für die neue Hip-Hop Generation und man wollte den Vorbildern aus NY nacheifern. 

Ganz spannend auch das Kapitel wie der Hip Hop zur deutsche Sprache kam. Der nächste große Schritt für den deutschen Hip Hop war Anfang der 1990er Jahre, der von einem unheimlichen Ereignis hervorgerufen wurde. Aufgrund von einer zunehmenden Ausländerfeindlichkeit solidarisierten sich viele Künstler und rappten zum ersten Mal in deutsch, um den aufkommenden Rassismus anzuprangern und um Stellung zu beziehen.  Aber hierzu jetzt in der Erzählweise der Doku mehr. 

Jede Folge wird ausschließlich getragen von den Erzählungen der Zeitzeugen aus der Hip-Hop-Community. Innerhalb der Folgen wird der Fokus auf eine bestimmte Phase oder bestimmte Phänomene im Hip Hop in Deutschland gelegt. 

Folge 1  Die Anfänge

Anfang der 1980er Jahre  erobert  Hip Hop  vom Rhein-Main-Gebiet aus ganz Deutschland.  Durch die stationierten US-Soldaten im Rhein-Main-Gebiet, unter ihnen ist auch der New Yorker B-Boy Rico Sparx,  kommen  vor allem junge Männer rund um Frankfurt in Kontakt mit der Szene. Zunächst bleibt die Kultur aber eine reine Untergrundbewegung.  Es gibt eine Clubkultur, erste Plattenläden verkaufen die Musik, Jams werden veranstaltet. Hip Hop  wird als Einheit von vier Elementen gefeiert : DJing, B-Boying, Graffiti und Rap.  Gerappt wird  auf Englisch.  Hip Hop ist multikulturell, solidarisch und bietet allen  Teenagern  ein Zuhause, egal ob reich oder arm, schwarz oder weiß.

D-Flame Bild © HR

Folge 2  Kampf um Identität

Anfang der 90er Jahre verändert sich die Stimmung im Land. Rassismus wird zum großen Thema, und damit verändert sich auch der  Hip Hop. “Fremd im eigenen Land“  fühlen sich  Advanced  Chemistry . Hip Hop  ist politisch und die Message wird auf  Deutsch verbreitet. In Frankfurt machen  Konkret  Finn und  das Rödelheim  Hartreim  Projekt von Moses Pelham und Thomas Hofmann Schlagzeile: Hartes  Dissen  und harte Ausdrücke in hessischer Reimform und dazu eine im Frankfurter Straßenslang vorgetragene Aggressivität. Vor allem die Kinder der Gastarbeiterfamilien in Deutschland identifizieren sich mit der Musik. Der  roughe  Ton ist ihre Form der Selbstermächtigung. Doch mit den Fantastischen Vier tauchen vier deutsche, szenefremde Jungs auf und feiern enormen Erfolg.  Rapmusik wird Mainstream. Der softe und von Spaß geprägte Rap wird populär und steht im Gegensatz zum multikulturellen Selbstverständnis der Old-School-Bewegung. Auf dem Zenit  des  Hip Hops  kippt die Stimmung  und es stellt sich die Frage:  Wem gehört der Deutschrap?   

Folge 3  Gegen den Strom

Im Jahr 2000 veröffentlicht der Frankfurter Rapper Azad die Single „Napalm“. Im Musikvideo ziehen Jugendliche aus einem sozialen Brennpunkt mit Masken und bellenden Pitbulls durch die Straßen. Mit Azad beginnt eine neue Ära im  Hip Hop. Es geht um Armut, Integration, Sex, Drogen und Gewalt. In Berlin sorgen zeitgleich die Rapper von Aggro Berlin für Schlagzeilen.  Die Straßenrapper nehmen keine Rücksicht mehr auf die „Befindlichkeiten der deutschen Mehrheitsgesellschaft“,  sie provozieren mit ihren harten  und zum Teil gewaltverherrlichenden  Lines. Von den Medien werden  sie  deswegen  als Bedrohung wahrgenommen, als Migranten, die sich nicht integrieren wollen. Die Rapper sehen sich selbst eher als Outlaws, mit ihrer Musik halten sie der Gesellschaft den Spiegel vor. Doch das böse Image bringt den Hip Hop zu Fall.   

Azad Bild © HR

Folge 4  Wieder am Block

Ende der 2000er ist  deutscher Hip Hop  tot. Doch dann taucht er auf.  Mit Haftbefehl erreicht der Gangsterrap einen neuen Hype. Was als Gegenentwurf begann, wird ein Verkaufsschlager.  Hip Hop  wird zum erfolgreichsten Musikgenre in Deutschland. Der harte vulgäre Ton des Straßenraps und der einhergehende Chauvinismus landet in den Kinderzimmern deutscher Mittelstandsfamilien und damit beginnt erneut der Streit um die Verantwortung von Rappern und was eigentlich Kunst ist. Sprachlich werden unterschiedliche Kulturen wieder verstärkt verwoben. Haftbefehl, aber auch Celo & Abdi lassen arabische, türkische, kurdische, englische und französische Wörter mit einfließen. Gleichzeitig erwächst eine neue Generation im  Hip Hop. LIZ,  Jos i oder Schwester Ewa – immer mehr Frauen aus Frankfurt  haben  das Rap-Business  erobert.  

Die vierteilige Doku Dichtung und Wahrheit – Wie Hip Hop nach Deutschland kam zeigt auf sehr beeindruckende Art und Weise die Anfänge und nimmt den Zuschauer mit auf den Weg wie schließlich Deutschrap zum prägendsten Musikgenre in diesem Land wurde. Damit der Artikel nicht ganz zu krass euphorisch wird, denn ich finde die Doku überragend, habe ich den offiziellen Pressetext mit einfliessen lassen.

Wer hätte gedacht, dass der hr zu so einer hervorragenden Dokumentation im Stande ist. Ganz groß. Vielen Dank dafür an die Redakteure Dorothee Ott und Christian Sprenger und Autoren Mariska Lief und Wero Jägersberg. Die vierteilige hr-Doku wird vom 7. und 14. Oktober um 22:30 im hr-fernsehen wiederholt und ist ab sofort in der ARD-Mediathek zu finden.

Credibil Bild © HR
Haftbefehl Bild © HR