Insolvenz, Verkauf an einen Investor, Änderung der Vereinsfarben oder des Wappens, … es gibt viele Gründe warum sich weltweit Fans von ihrem Verein lossagen und sich gegen den modernen Fußball positionieren, einen Fanverein gründen und einen Neustart in einer unteren Liga wagen.
Ich hatte während der Gegenbuchmasse in Frankfurt die Lesung von Alina Schwermer´s Buch Wir sind der Verein besucht und mir im Anschluss auch ihr Buch gekauft. Es ist ein Thema, dass mich unheimlich interessiert und mich auch schon den ein oder anderen Fanverein besuchen ließ. Eigentlich wollte ich selbst in die Tasten hauen und euch das Buch vorstellen, aber ich dachte mir, wer kann das denn besser als Alina selbst. Sie hat bestimmt noch die ein oder andere Anekdote von ihren Reisen nach Österreich, England, Israel, Kroatien, Spanien und in Deutschland zu erzählen.
Ich hatte sie kurzerhand kontaktiert und sie gefragt, ob sie es sich vorstellen könnte für unseren „Mode-Fußball-Blog“ 🙂 einen Gastartikel zu schreiben und das Ergebnis findet ihr nun hier. Vielen Dank an Alina für ihren zu dem meiner Meinung nach sehr wichtigen Thema der Fanvereine. Hier findet ihr übrigens den Link zu ihrem Buch – klick hier. Viel Spaß beim Lesen!
„Einen Fanverein zu gründen, ist wie Scheidung“, sagte mir mal Alexander Hütter, damals Obmann bei Austria Salzburg. „Und wer lässt sich schon gern scheiden?“ Es muss viel passieren, damit man sich als Fan entscheidet, sich von seinem Verein loszusagen und eine Alternative zu gründen. Und trotzdem gibt es immer mehr Fanszenen, die genau das tun.
Fanvereine in dieser Form sind eine vergleichsweise neue Bewegung: Sie hat Ende der Neunziger Jahre in England begonnen. Es gab natürlich vorher schon Modelle, wo die Basis einen Verein führte. In den Anfangszeiten des ausgehenden 19. Jahrhunderts etwa existierten neben gutbürgerlichen bis elitären Fußballvereinen und den Arbeitervereinen, die zunächst oft vom Arbeitgeber (Zuckerbrot und Peitsche) unterstützt wurden, auch ganz unabhängige, wilde Konstrukte. Der FC Schalke 04 war zu seiner Anfangszeit eine Straßenmannschaft von Jugendlichen, die sich selbst organisierte. Später gab es die Roten Sterne und die wilden Ligen. Aber in den breiten Mainstream hat Basisdemokratie erst ab der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre gefunden: Da haben zum ersten Mal ganze (oder oft eher halbe) Fanszenen massenhaft beschlossen, ihrem Verein den Rücken zu kehren und einen eigenen zu gründen. Oder gleich den Klub zu übernehmen. Warum?
Viele Fanvereine sind auf die ein oder andere Weise systemkritisch oder kommerzkritisch, aber sie gründen sich fast nie unmittelbar aus dieser Motivation. Die meisten Fanvereine entstehen aus einem konkreten Anlass, und häufig ist der: Insolvenz. So sehr Insolvenzen im Fußball heute als selbstverständlich gelten, so wenig waren sie ursprünglich Teil des Geschäfts. In England beispielsweise gab es bis zu den Achtziger Jahren in den ersten vier Ligen fast gar keine Insolvenzfälle. Zwischen 1982 und 2010 aber waren es plötzlich 67. In vielen Ländern zeigt sich Ähnliches, in Deutschland ist zuletzt die Dritte Liga zur Insolvenzfalle geworden. Es sind nicht die ganz Großen, sondern vor allem die Klubs an der Schwelle des Profifußballs, die derzeit fallen. Fans sind dann die Einzigen, die noch zu ihrem Verein halten. Und ihn oft unter großen Opfern retten oder neu gründen. Die Neugründung nennt man manchmal Phönixclub, wie ein Phönix aus der Asche halt. Die Insolvenzen haben einen Grund.
Vereine müssen immer höhere finanzielle Risiken gehen, um sich sportlich zu verbessern, oft auch getrieben von der Erfolgsgier aus Teilen der Anhängerschaft, in die Insolvenz. Wo es eine Welle von Insolvenzen gibt, gibt es eine Welle von Fanvereinen. Erst in England um die Jahrtausendwende: In den kriselnden Klubs, die im Wettrüsten der Premier League abgehängt wurden, sammelten Fans für die Rettung Geld – und landeten am Ende manchmal in Amt und Würden. In den frühen Fällen war das gar nicht so beabsichtigt: Fans gründeten Trusts, um ihren Verein zu unterstützen, nicht, um den Verein zu führen. Beim AFC Bournemouth aber landete 1997 erstmals ein Fan auf diese Weise im Präsidentensessel. Viele weitere folgten, darunter die großen Flaggschiffe: 2002 der AFC Wimbledon, weil der alte Verein nach Milton Keynes verpflanzt wurde; 2005 der FC United of Manchester als Prostet gegen die Übernahme durch Malcom Glazer.
Für das Buch „Wir sind der Verein“ habe ich quer durch Europa Vereine besucht, die von Fans gegründet und geführt werden; von Klubs in den untersten Amateurligen bis hin zu denen, die es wie Wimbledon in den Profifußball geschafft haben. Und solchen wie dem AFC Telford United, wo Fans aus wirtschaftlicher Notlage ihre Anteile wieder verkaufen mussten. Von Klubs, die eigentlich nur einmal im Jahr auf der Mitgliederversammlung die Basis fragen, bis hin zu solchen wie dem NK Zagreb 041, die gar keinen Präsidenten haben und alles basisdemokratisch lösen. Es ist ein kleiner Verein, der in den unteren Ligen viel mehr Spaß hat, das geht gut.
In Europa gibt es aktuell wahrscheinlich mindestens 150 solcher fangeführter Klubs; viele davon in England, Spanien und Italien, aber auch Vereine in Deutschland, Österreich, Israel, Kroatien, Polen, Rumänien, Zypern, Irland, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Bewegung ist immer stärker vernetzt, trotzdem ist sie nicht homogen. Es gibt viele eher links oder ganz weit links orientierte Fanvereine, aber auch solche, die nach rechts zumindest sehr offen sind, und eine Reihe von Klubs, die sich gar nicht positionieren oder ziemlich bürgerlich sind. Einige haben überhaupt nichts gegen Investoren, sondern suchen, wie Telford oder Beitar Nordia, einfach nach einem wirtschaftlich erfolgreichen Modell. Auch das kann sich lohnen. Fangeführte Vereine, die unten im Ligasystem anfangen, sind meist schnell erfolgreich. Sie erleben eine Serie von Aufstiegen, weil sie durch die große Fanbasis ein kräftiges wirtschaftliches Pfund in der Tasche haben. Ab einem bestimmten Punkt – in finanzstarken Ligensystemen früher, in kleinen später – kehrt sich diese Dynamik ins Gegenteil um. Weil sie keinen milliardenschweren Besitzer oder Investor haben, starten Fanvereine dann mit stärkeren Nachteilen als die Konkurrenz. Kaum ein Fanverein hat es deshalb bisher in den Profifußball geschafft, und wird es vermutlich nicht. Es ist eine der größten Schwierigkeiten für Fanführung, denn irgendwann kommt zwangsläufig die Entscheidung: Mitsprache oder sportlicher Erfolg? Und obwohl Aktivisten gerne erzählen, ihre Anhänger seien viel unabhängiger von Erfolgswünschen, stimmt das nicht ganz. Sehr viele Szenen wünschen sich natürlich auch Erfolg. Ab diesem Punkt gerät das Modell unter Druck.
Das Konzept ist nicht Weiß gegen Schwarz. Mitsprache ist nur bis zu einem gewissen Grat sinnvoll. Darf die Basis zu viel entscheiden, gerät der Verein schnell in Schieflage. Nirgendwo wurde das so deutlich wie im gescheiterten Versuch von Fortuna Köln, wo Fans bis hin zur Spielerverpflichtung und Trainerentlassung überall mitentscheiden sollten. Faktisch handelte es sich natürlich eher um Abnicken denn um echte Entscheidungskompetenz. Viele waren enttäuscht, nicht ernst genommen zu werden, und vielen fehlten Kompetenz und die nötigen Hintergrundinformationen. Unsinnige Entscheidungen fuhren das Konzept schnell gegen die Wand.
Fortuna ist aber auch deshalb interessant, weil eine Menge Datenmaterial über Fanmitsprache gesammelt wurde. Die populärsten Abstimmungen – das bestätigen auch andere Vereine – sind nicht die weitreichenden Entscheidungen. Sondern Votings über das Design des neuen Trikots, über den Eintrittspreis, den Bierpreis. Je abstrakter es wurde, desto geringer die Beteiligung. Auch bei vielen Fanvereinen ist übrigens die aktive Beteiligung bei Abstimmungen erstaunlicherweise nicht höher als zehn Prozent. Menschen fordern zwar Demokratie, nutzen sie aber in der Realität wenig. Die Mehrheit der Anhänger will offenbar gar nicht bei der Ausrichtung ihres Vereins mitbestimmen. Sie will vor allem da zu sagen haben, wo es ihr unmittelbares Stadionerlebnis betrifft. Sie will Nähe spüren, wertgeschätzt werden und sich vielleicht mit Initiativen einbringen.
Fast alle fangeführten Vereine sind sozial und in der Community wesentlich engagierter als konventionelle Vereine. Fans, das zeigen Untersuchungen, sind zufriedener in fangeführten Klubs, und sie sind kreativer. Wer wertgeschätzt wird, unterstützt den eigenen Verein gern großzügig in seiner Freizeit, und oft mit tollen Ideen. Systemisch ähneln Fanvereine dagegen, je höher sie kommen, umso mehr konventionellen Klubs: Recht schnell findet sich eine kleine Gruppe, die sehr viel Macht in ihren Händen konzentriert. Die Basis wird oft, wie etwa beim HFC Falke, nur bei wichtigen Entscheidungen mit ins Boot geholt, um nicht zu viel Zeit mit ausufernden Debatten zu verlieren. Vereine wie CAP Ciudad de Murcia aus Spanien verbieten der Basis, in rein sportlichen Themenfeldern abzustimmen. Das ist sinnvoll, wenn man einigermaßen erfolgreich sein will. Im kleinen Klub funktioniert Mitbestimmung übrigens eindeutig besser als bei einer heterogenen Basis mit 10.000 Mitgliedern. Siehe Bundesligaklubs.
Fanvereine haben also eine doppelte Herausforderung: Einerseits dafür zu sorgen, dass die Basis auch über die Jahre ihren Einfluss behält, weiter geschätzt wird, und an Bord bleibt. Und andererseits dafür zu sorgen, dass Fans nicht zu viel Einfluss haben. Nicht überall funktioniert das. Austria Salzburg war zum Zeitpunkt der Recherche enorm von einer einzelnen Fangruppe abhängig. Laut einiger Aussagen lief kaum etwas gegen ihren Willen; unliebsame Trainer oder Manager seien bedroht oder vom Hof gejagt worden, Medien eingeschüchtert, Gewalt ohne große Konsequenzen geblieben. Fanvereine sind stärker abhängig von ihren Fans als andere Klubs. Das kann ein Problem werden. Ein größeres Problem aber ist das bestehende System, das es Fanvereinen nicht ermöglicht, sich zu entfalten.
Und in Zukunft? Lokal und regional können Fanvereine unheimlich viel bewirken. Sie stoßen viele tolle Projekte an, sie sind oft unangepasst, manchmal sogar revolutionär. Sie sind aktiv für sozial Benachteiligte, für Jugendliche, Behinderte, Flüchtlinge, Frauen. Gleichzeitig verlieren die kritischen Anhänger, indem sie sich vom Profifußball abwenden, ihre Funktion als Korrektiv in den oberen Ligen. Sie geben den Kampf auf für die kleine Utopie, und sie funktionieren weiter innerhalb des bestehenden Systems. Das System bleibt von Fanvereinen weitgehend unberührt.
Im alten Nordwesten ist die Bewegung ins Stocken geraten. In Osteuropa könnten sich in Zukunft einige Fanvereine gründen; in Spanien und Italien passiert gerade viel. Dort ist nach der Wirtschaftskrise ab etwa 2010 eine zweite Gründungswelle entstanden. Vielleicht ideologischer als in England, und mit starker Bindung an die Community. In Spanien habe ich CAP Ciudad de Murcia besucht, damals Viertligist. Das war eine gute Version, wie ein fangeführter Klub funktionieren konnte: Sehr politisch und kritisch, mit viel Basisarbeit, und gleichzeitig sportlich erfolgreich. Weil der Support der Fans sie beeindruckte, kamen einige Spieler freiwillig aus einer höheren Liga, obwohl sie in Murcia nichts verdienten. So können sportliche Nachteile ausgeglichen werden. Die Mitbestimmung war recht direkt: Für 500 Euro konnte man einen Anteil am Verein kaufen, zahlbar in Raten. Und damit nicht nur das Präsidium oder die Abteilungen wählen, sondern auch abstimmen, wie hoch der Eintrittspreis ist, oder ob ein eigenes Stadion gebaut werden sollte.
Es war, wie bei vielen Fanvereinen, eine ziemlich persönliche Recherche. Und eine über Umwege: Die Mailadresse funktionierte nicht, am Telefon sprach niemand Englisch, am Ende war Facebook der beste Weg zur Kontaktaufnahme. Am Ankunftstag wollte ich zu einem Spiel, das Ciudad mit seinem Frauenteam bestritt, aber der Zug fuhr nicht, also war nichts. Und am nächsten Tag im Estadio José Barnes führen wir die Interviews in einer Umkleide auf nassen Tischen, weil nichts anderes frei war. Die Recherchen waren, wie so oft, sehr unwägbar und sehr charmant.
Und die Leute unheimlich bemüht. Der sehr junge Präsident, der Trainer, der Spieler, die Anteilshaber, alle waren auch erstaunlich ehrlich. Vielleicht, weil es ihnen egal sein konnte, was in irgendeinem deutschen Buch über ihren Verein steht. Vielleicht auch, weil man in diesem Verein noch keinen Wert auf beschönigende Pressestatements legt oder legen muss. Dass der Präsident mitten im Gespräch zugab, wie erschöpft er von der Arbeit im Fanverein war, dass der Trainer darüber nachdachte, wie viel von seinem Werk bleiben wird und ob sein möglicher Nachfolger wieder etwas kaputt machen würde, all das gab viele Brüche. Für eine Konferenz der Anteilshaber, die an einem Abend stattfand, saßen wir im Korridor eines Einkaufszentrums. Es war die Möglichkeit, dem Fanverein quasi beim Leben zuzugucken. Und mal einen Verein zu besuchen, von dem man kein Bild im Kopf hat. In Deutschland hat man ja über jeden Klub zig Artikel gelesen, bevor man ihn besucht. Über Murcia gab es einfach nichts, dadurch konnte man freier berichten.
Wie auch an anderen Orten kamen viele Begegnungen und Gesprächspartner zufällig zustande, von der Konferenz wusste ich vorher nichts. Die langen Diskussionen bei der Versammlung waren teilweise anstrengend, und da war ich wohl nicht die Einzige, die das fand: Einige haben in Murcia auf dem Smartphone geklickt. Basisdemokratie ist mühsam. Aber die Leute sind auch extra am Feierabend hergekommen, um etwas zu erreichen. Fangeführte Klubs leben vom großen Engagement vieler Freiwilliger und ihrem Idealismus.
Übrigens war Ciudad auch ganz entspannt: Als ich am Ende Zitate zur Freigabe schicken wollte, schrieb mir der Präsident zurück: „Ach, das ist nicht nötig, wir vertrauen dir. Du wirst es schon gut machen.“ Mir fallen nicht viele konventionelle Vereine ein, wo das passiert wäre. Wahrscheinlich nicht mal in der Bezirksliga. Im Idealfall ist der Fanverein aktuell eine große Gestaltungsfläche für Menschen, die nicht mehr gegen etwas kämpfen möchten, sondern für etwas. Es gibt die Bewegung erst seit rund zwanzig Jahren; gut gemeint ist hier nicht immer gut gemacht, aber Bewegungen entwickeln sich, und manche Probleme löst die Erfahrung. Andere sicher nicht. Josip Milicevic vom NK Zagreb 041 formulierte es so: „Wenn ich mich entscheiden muss, ob wir die Dinge selbst in die Hand nehmen, oder ob irgendein Milliardär kommt und ich ihm zugucken muss, wie er meinen Verein kaputt macht, wähle ich lieber: Wir machen es. Vielleicht scheitern wir, vielleicht wussten wir es nicht besser, aber wir haben alles versucht.“
„Wir sind der Verein“ von Alina Schwermer
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