Sapeur OSB begibt sich mit dem heutigen Gesprächspartner auf eine Zeitreise in Sachen Fankultur in Deutschland. Wir haben uns mit Steffen Heumann, dem Macher von FAN TREFF und match-live, über vergangene Zeiten, dem wilden Drumherum am Spieltag und natürlich auch über beide Hefte unterhalten.
Am FAN TREFF schieden sich zwar die Geister, aber unterm Strich war er unterhaltsam und einfach Kult. Das Heft startete als Sprachorgan für Fans, driftete aber durch den „sportlichen Zeitgeist“ in den deutschen Kurven schnell in Richtung „Randaleblättchen“. Die Neuerscheinungen waren in den Bahnhofskiosken in der Regel schnell ausverkauft und auf den Zugfahrten zu den Auswärtsspielen waren die Artikel Gesprächsstoff Nummer Eins.
Mit dem Magazin match-live stellte Steffen die aufkommende Ultràmanie in den deutschen Kurven in den Fokus und berichtete natürlich auch über die damaligen südeuropäischen Vorbilder.
Jetzt aber genug der einführenden Worte. Schlüpft in euren alten Blue System oder Best Company Sweater, geht noch einmal schnell zum Kühlschrank, macht euch ein Bier auf und viel Spaß mit dem Interview. 

Gude Steffen! Wir haben uns ja einige Ewigkeit nicht mehr gesehen oder gesprochen. Stell dich doch einmal bitte unseren Lesern vor, die dich nicht kennen sollten oder auch aus dem Blick verloren hatten.

Hallo, Mark! Schön, Dich zu hören und für ein paar Minuten über alte Zeiten zu plaudern. Was soll ich über mich erzählen? Bin jetzt über 50 Lenze alt und hatte in meiner Zeit nach Schule, Beruf und Bundeswehr die Möglichkeit, mein Hobby, Fußball & Fans, zum Beruf zu machen. Einmal mit Fan Treff und danach mit match live als zweitem, aber letztlich auch gescheitertem Versuch, ein Fan- und Szenemagazin deutschlandweit und in den angrenzenden Ländern zu etablieren. Trotz der Erfahrungen, dass das Vorhaben letztlich nicht gelungen ist, würde ich es – vorausgesetzt ich wäre nochmal 20 – wieder tun.

In meinen jungen Jahren warst du mit deinen beiden Fanmagazinen „Fan Treff“ und „match-live“ vielleicht neben „Dr. Sommer“ in der Bravo meine wichtigste Informationsquelle ☺ Erzähl doch mal wie alles mit dem Fan Treff begonnen hatte und welche Idee hinter dem ersten überregionalen Heft stand?

Naja, wie schon erwähnt, ein überregionales Fanheft für alle, zu produzieren, war die Ausgangsidee. Allerdings war das nicht meine, sondern die Überlegung von Peter Will, dem Macher von Fan Treff, der ein solches Magazin auch als gute Plattform sah, diverse Fanutensilien, vom T-Shirt bis zum Hoody, zu vertreiben. Die Produktion von Fanclubaufnähern und Souvenirs, Fahnen, Schals etc. wurde damals ebenfalls noch stark nachgefragt. Peter hat mich damals gefragt, ob ich mitmachen will. Die Aussicht, überregional in der Fußballwelt herum zu kommen, hat mich gereizt und andere berufliche Pläne hinten anstehen lassen.

1986 startete der Fan Treff inhaltlich ja eher noch recht „friedlich“. Wie kam es letztlich dazu, dass der Fokus auf die „Randaleszene“ wechselte?  

Die Ära, in der Aufnäher und Fanzines getauscht wurden oder Fanclubtreffen mit Turnieren im Fokus standen, hatte sich abgenutzt. Der Hooliganismus und das Ultra-Dasein nahm eine rasante Entwicklung, die ich mehr aufzuhalten war. Folglich wurde das Geschehen rund um die sogenannte 3. Halbzeit, ebenso wie das Planen von spektakulären Choreographien und Inszenierungen, stärker beleuchtet. Das, ohne es negativ bewerten zu wollen, „Kuttendasein”, verlor an Stellenwert und lag im „Dornröschenschlaf”.

Wenn man sich so unter den Alten umhört, haben die meisten zwar das Heft gekauft oder zumindest gelesen, aber keiner will letztlich dafür geschrieben haben. Mal ehrlich: Woher kamen dann die ganzen Berichte oder anders gefragt, in einer Zeit vor dem Internet wie hat man sich mit der Szene connectet?

Fan Treff hat schon polarisiert. Unabhängig davon, ob Du ein „Guter” warst, ein „Mitläufer”, nur ein „Beobachter” oder eine „Kutte” bzw. „Normalo”. Es gab Leute, die es kaum abwarten konnten, bis die neue Ausgabe am Bahnhof erschien und andere, für die war der Fan Treff nur peinlich. Das gute Telefon und natürlich eifriges Briefeschreiben waren die „Hauptverkehrsmittel”, um mit Freunden und Bekannten aus der Fanwelt vernetzt zu sein.

Andererseits brüsteten sich ja damals immer wieder mal Leute damit, bewusst Fake-Berichte geschrieben zu haben, die dann auch erschienen sind. Habt ihr so Klassiker „Wir waren da, wo wart ihr“ eigentlich geprüft oder war euch das wurscht? 

Fake-News gabs auch damals schon. Und es hat eine ganze Zeit in Anspruch genommen, bis die Propaganda-Experten auf ein erträgliches Level aussortiert waren. Immerhin, daraus entstanden eine Menge fruchtbarer Dialoge und Kontakte zu Insidern, die auf dem Teppich geblieben sind und eher als neutrale Beobachter durchaus in der Lage waren, Ereignisse am Rande von Fußballspielen zu relativieren und objektiv darzustellen.

Gab es eigentlich in all den Jahren mal Versuche von Judikative und Exekutive, das Heft „zweckzuentfremden“? Sprich: Haben sich auch die „Förster“ für die Inhalte und vor allem die Fotos im FT interessiert?

Natürlich gab es auch bei Experten Befürworter und Gegner. Mit der Bundesprüfstelle für Jugend gefährdende Schriften hatte auch der Fan Treff einen ständigen Begleiter. Aber solange alles im Einklang mit dem Presserecht ablief, musste der Herausgeber nichts befürchten. Nach bestem Wissen und Gewissen haben wir alles gefiltert, da es auch viel politisch motivierte Zuschriften gab. Überwiegend gilt aber nach wie vor der Grundsatz, dass Du die Wahrheit schreiben und auch veröffentlichen darfst. Dass die Thematik sich größtenteils mit der Subkultur von Jugendlichen befasste, ist an sich ja kein Verbrechen. Selbstverständlich war der FT und später auch match live Pflichtlektüre u.a. von szenenkundigen Beamten. Die Angriffsfläche, die der Inhalt oder auch das veröffentlichte Fotomaterial damals geboten hat, war nicht sehr groß. Die Polizei hatte bereits damals viel bessere Möglichkeiten, um mit der Videokamera etc. Beweise zu sammeln, durch die, wenn möglich, Ermittlungen eingeleitet werden konnten.

Im damaligen FT-Hauptquartier in Sandhausen gab es auch mal eine Polizei-Razzia. Vermutet wurde, dass dort das organisierte Fußball-Verbrechen zuhause sei und die Verabredungen für Schlägereien am Wochenende koordiniert werden. Drei Computer-Arbeitsplätze, zwei Heißpressmaschienen zum Beflocken von Textilien und jede Menge Ausstellungsmuster, Fanartikel und Bücher zum Schmökern. Die Razzia war schnell beendet, Festnahmen gab es keine, Festplatten wurden auch nicht konfisziert. Das war auch der einzige Vorfall dieser Art.

Wer zum Geier hat eigentlich die ganzen schlimmen Klamotten gekauft, für die im FT geworben wurde? Das ganze „Bulldog“-Zeug, „Deutschland Hooligans“, „Nobody knows you“, etc. – getragen wurde das ja nie, zumindest nicht im Stadionumfeld…☺

Ganz unterschiedlich und auch nicht unbedingt an den Bundesländern festzumachen. Schlimm? Jedenfalls waren die Teile nur bedingt Mainstream, das stimmt. Aber eine zeitlang sind Leute aus der Fanszene z.B. auf alles abgefahren, was mit dem „Amsterdam Bulldog” bedruckt war. Heute lässt sich sicher auch über die Motive und die Qualität der Textilien streiten, die zu unfassbaren Preisen auf dem Markt sind. Manche Bulldog-Sweater leben heute noch, sind aber eher bei der Gartenarbeit im Einsatz. Die Qualität der Materialien war sicher okay. Dass Bulldog-Streetwear ein Relikt aus vergangenen Zeiten ist, liegt sicher auch daran, dass keiner der Verantwortlichen einen Blick für Trends oder Veränderungen auf dem Markt hatte. Pitbull, Troublemaker oder Hooligan-Streetwear haben sicher auch vom damaligen Zeitgeist profitiert. Wenn ich heute mit meinem Nachwuchs zu Snipes „muss” oder belehrt werde, welche Sneaker cool und welche out sind, denke ich immer an die Zeit zurück, als mich die Neueröffnung einer Uli Knecht-Filiale noch in Wallung brachte.

War man Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger im Stadion unterwegs, sah man in der Nähe des Gästeblocks stets eine große Gruppe Hools oder Auseinandersetzungen vor, während oder nach dem Spiel im direkten Stadionumfeld. Wie würdest du die Spieltage in der Zeit und Größe der Mobs im Vergleich zu heute beschreiben? 

Da liegen Jahrzehnte dazwischen, aber die Clubs mit den meisten gewaltbereiten Anhängern sind gestern wie heute bis auf die üblichen Schwankungen identisch. Ob Fan, Ultra, Hool oder allgemein, der erlebnisorientierte Stadionbesucher, die Grenzen sind nach wie vor fließend. Trotz beinahe totaler Überwachung, gibt es immer noch krasse Aktion im Stadion. Fanbanner zocken, Pyro, Platzsturm, gab es alles schon, gibt es immer noch und wird es wohl auch weiter geben, obwohl die handelnden Personen ein großes Risiko eingehen. Zur Gewalt im Stadion: Die Gelegenheiten werden seltener, aber wenn sich die Chance bietet, geht den „Jungs” trotz heftiger Repressalien der Gaul durch. Das hat mitunter unangenehme Folgen, damals, wie heute.

Und naja, wer sich am Sonntagmorgen im Wald auf ein Match trifft, weiß, auf was er sich einlässt. Spätestens beim Klicken vom Mundschutz und dem Anblick durchtrainierter Kampfmaschinen muss jeder wissen, auf was er sich einlässt. Im dümmsten Fall bleibst Du liegen und stehst nicht mehr auf. Die Motivation hierfür steht sicher weniger in Verbindung mit der klassischen Liebe zum Verein.

Wir müssen jetzt einfach zur Modefrage kommen. Diese Zeit steht aber auch für viele modische Trends, die erst vom „Spektakel“ im Stadion auf die Straße bis hin zum allgemeinen Modegeschmack hoch katapultiert wurden. Reebok Classics, New Balance, Adidas ZX8000, Blue System, Chipie, Iceberg und Marken, die heute als Old School Klassiker wieder eine Renaissance feiern: Best Company und Chevignon. Wie hast du den modischen Aspekt gesehen und vor allem wie hat man sich zu der Zeit mit den neuesten Sachen eingedeckt?

Edle Klamotten im Stadion, das war schon ein Indiz dafür, zu den Hooligans zu zählen oder zumindest damit zu kokettieren, einer zu sein. Die Engländer waren auch hier Vorbild. Smarte Jungs im Markenklamotten, wer könnte denken, dass die auf Krawall aus sind. Wer es sich leisten konnte, hat sich die Sachen gekauft. In anderen Fällen hatten diverse Klamottenläden einen immensen Schwund an Teilen. Zudem hatten Chevignon-Jacken oder Best Company-Pullis gebraucht noch einen guten Marktwert. Bis diverse Trends in der Provinz ankamen, hatten die Großstädter schon wieder eine neue Lieblingsmarke entdeckt. Die Hooligan-Bewegung hat meiner Meinung zum Aufschwung von Modelabels durchaus einen Beitrag geleistet. Oder etwa den Absatz von Schuhen gefördert. An bestimmten Modellen, hast Du nicht selten erkannt, für welchen Verein die Fäuste fliegen. Das war bei Länderspielen nicht selten ein Schaulaufen.

Die Casuals in England erzählen immer vom „Shoplifting“ während ihren Europapokaltouren bei den sie europ. Designerklamotten einsackten. Mir fällt nur das als „Chevignon Shopping Tour“ in Erinnerung geratene Spiel der deutschen Nationalmannschaft in Luxemburg ein. Waren „Einkäufe“ dieser Art auch hier an der Tagesordnung?

Natürlich wurden solche Spiele auch für „Klau-Touren” genutzt. Da konntest Du manchmal nur den Kopf schütteln, wie etwa Anfang der Neunziger beim Länderspiel in Brüssel gegen Belgien. Als sich der deutsche Hoolmob mit mehreren hundert Leuten aus Richtung Bahnhof in die City bewegte, gab es kein Halten mehr, als an einer Ecke ein Chevignonladen gesichtet wurde. Rein, raus, da hatten einige die Hände voller Klamotten, hatten aber nicht bemerkt, dass es ein Kinderklamotten-Laden war. Schnell drüber ziehen war bei XS nicht machbar. Wer also nicht auffallen wollte, musste die Teile schnell wieder los werden …

Kurz vor Ende des Fan Treffs hattet ihr auch immer mehr über die Ultras in Italien berichtet. Inwieweit hatte sich das Heft vom Schwerpunkt verändert?

Die Ultramanie nahm immer mehr Fahrt auf. Die einen wollten sich auf der Straße hauen, andere mit aufwendigen Choreographien im Ranking der kreativen Gruppierungen punkten. Auch die südländische Begeisterung wurde sozusagen importiert. Bengalische Feuer und das Abbrennen von Pyro wurden immer beliebter. Die Beschaffung war ein Leichtes, der Einfallsreichtum, das Zeug ins Stadion zu bekommen, setzt sich ja bis heute fort.

Wann war euch klar, dass es mit dem FT vorbei ist? Offiziell hieß es ja, das Heft wurde „aus wirtschaftlichen Gründen“ eingestellt…

Letztlich ging es schon ums Geld bzw. die Neuausrichtung der Inhaber, die privat getrennte Wege gingen. Peter Will plante in Mannheim einen Fanshop zu eröffnen, der u.a. auch Bundesligatrikots vertreibt. Ich bekam das Angebot, mitzumachen, konnte mich aber letztlich nicht dazu entschließen. Der Beschluss, Fan Treff einzustellen, hatte Peter da schon gefasst.

Und weiter ging es mit dem Magazin „match live“. Alles neu und ein neuer Themenschwerpunkt: Ultras. Mit welcher Intention und unter welchen Umständen hattest du das neue Heft geplant und schließlich realisieren können?

Alles neu wäre übertrieben, aber da anknüpfen, wo das Kapitel Fan Treff endete. Das war der Anfang von match live. Der Zufall stand Pate, weil in der Media-Agentur, für die ich dann tätig war, Interesse bestand, Kapital für ein solches Projekt zur Verfügung zu stellen.

Wie bist du mit dem neuen Themenschwerpunkt gestartet und wie war denn die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Autoren und Szenen?

Der Neustart war schwierig. Es dauerte eine Weile, bis alte Kontakte reaktiviert und neue geknüpft waren. Letztlich war ich als Einzelkämpfer aber auf verlorenem Posten und musste irgendwann die finanzielle Notbremse ziehen.

Wie hast du selbst den Übergang von dem Hooliganismus in deutschen Stadien und gleichzeitig toten Kurven hin zu ultràorientierten Kurven empfunden/wahrgenommen?

Eine ereignisreiche und spannende Zeit mit vielen Erfahrungen. Als Kontrast zur immer stärkeren Kommerzialisierung finde ich es bewundernswert, dass die Anhänger bzw. Ultras durch ihren Zusammenhalt in der Kurve, immer noch nicht müde sind, die Tradition zu bewahren und die Errungenschaften eines Vereins zu bewahren und den Ausverkauf der Fankultur nicht um jeden Preis hinnehmen.

Steffen, wir könnten dir Hunderte von Fragen stellen und dieses Mal fällt es uns besonders schwer langsam zum Ende zu kommen. Gibt es von den vielen besuchten Spiele eine besondere Partie, an du dich gerne zurückerinnerst?

Da gibt es eine ganze Liste von Spielen mit besonderen Geschichten drumherum, die heute noch an den Lagerfeuern gerne erzählt werden, wenn sich die Gelegenheit bietet, Mitstreiter von einst zu treffen. Wo soll ich da anfangen?

Verfolgst du das Geschehen auf den Rängen (und auch außerhalb) heute noch?

Mit einem Ohr bin ich am Geschehen noch dran. Aber mit zunehmendem Alter ist die emotionale Distanz natürlich größer geworden. Mit der Verantwortung für die eigene Familie verschieben sich die Prioritäten.

Eine Frage an den Zeitzeugen, der eine Fankultur von der vorsichtigen Entwicklung an in seinem Magazinen „Fan Treff“ und „match-live“ begleitet hatte. Hättest du rückblickend der damals aufkommenden Ultràmanie in den deutschen Stadien so eine Entwicklung zugetraut?

Gehofft ja, erwartet nicht unbedingt. Solange es ein paar fähige Köpfe gibt, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und ihre extreme Leidenschaft mit Vernunft ausleben, lebt der Support im Stadion weiter. Bezahlten Applaus braucht keiner, darauf kann ich verzichten.

Steffen, es war mir ein Fest mit dir in der Erinnerung schwelgen zu können und mal nicht nach England oder Italien blicken zu müssen, sondern mit einem besonderen Fan Chronisten über die verschiedenen Epochen der aktiven Szene in Deutschland zu sprechen. Vielen dank dafür!