Heute stellen wir euch einen echten Tausendsassa und einen Botschafter der Frankfurter Subkulturen vor. Er ist Rapper und war Teil der legendären Frankfurter HipHop Crews Nordmassiv und Binding Squad. Er ist Writer und Künstler mit eigenem Atelier. Er ist Boss von seinem eigenen Klamottenlabel. Jorge aka Fuego Fatal ist eines der Gesichter Frankfurt´s und ein weiterer unserer Wunschgesprächspartner.
Riesensache, dass das mit dem Interview noch geklappt hat. Denn kreative Menschen sind nur schwer „einzufangen“ und stehen immer wieder vor neuen Projekten. Das Interview ist sehr lang geworden. Aber das ist auch gut so. Fuego ist authentisch, hat das Herz auf der Zunge und die Lungen prall gefüllt, um immer weiter zu spitten. Trotz seines Alters ist er immer noch Feuer & Flamme für seine Kunst und Ausdrucksformen. Wir wünschen euch viel Spaß mit dem Frage- und Antwortspiel und raten allen Lesern, die sich nicht mit den Begriffen aus dem HipHop oder Graffiti auskennen, doch ein Urban Dictionary zu besorgen ;o))
Fuego, stell dich doch am besten selbst einmal unseren Lesern vor und erzähl uns doch was dein Alter Ego bedeutet und wie du zu dem Beinamen gekommen bist.
Gude, ich heiße Jorge Labraña, aber viele kennen mich unter meinem Künstlernamen FUEGO FATAL. Der Name kommt natürlich noch aus meiner Zeit als Writer und Rapper in den Straßen und Cyphers Frankfurts. Wo der Name genau herkommt, ist ne längere Geschichte, die ich euch gern erzähle. Früher habe ich SMOKE gemalt, aber es gab dann einen sehr aktiven Trainmaler aus dem Pott, der den Namen einfach härter represented hat. Davor hatte ich Respekt und beschloss, einen anderen Namen zu malen. Nicht zuletzt deswegen, weil ich auch zu der Zeit mit NORDMASSIV angefangen hatte Musik zu machen.
Ich schrieb also heimlich erste Lyrics und wollte einen freshen, einzigartigen Namen. Aber ich wollte auch eine Verbindung zu meinem „alten“ Namen, vor allem aber wollte ich unbedingt einen spanischen Namen. Außerdem wollte ich einen Anfangsbuchstaben, der im Frankfurter Writing noch nicht getaggt wurde. S war von Sik besetzt, B von Bomber A von Airs, K von Keen und so weiter. Aber das F.. das hat einfach niemand getaggt. Ich wollte also ein F am Anfang und habe damit rum experimentiert.
Damals hatten alle 3 oder 4 Letters. Ich dachte mir, „Scheiß auf was alle machen!“ und kam auf „Fuego“. Das war perfekt, weil es übersetzt „Feuer“ heisst. Es ist das, was vor dem Rauch kommt. Es ist das, was brennt, was burnt. Das gefiel mir. Aber ich war beim Suchen auch auf „Fatal“ gekommen, was ich auch ziemlich geil fand.
Aber 2 Namen? Ich dachte: „Scheiß drauf, dann hab ich halt einen Vornamen und einen Nachnamen“. Bei der ersten Nordmassiv Session, bei der ich einen Part geschrieben hatte, und nicht mehr nur freestyle gerappt hatte und beim cyphern spittete, kam ich dann damit um die Ecke. Meine Jungs habens bös abgefeiert, und der Name war zementiert. Der Track heißt übrigens „5. Quartal“ und ist so auf „Gassenhauer“, unserer ersten Vinyl erschienen. Es war gleichzeitig der erste geschriebene Part von mir. I gotta admit it, it was the first verse i spitted. Das war 1996.
Wo sollen wir anfangen? Am besten beim Anfang. Frankfurt in den 1980ern. Deine Jugend in Mainhattan. Erzähle uns, wie es war in dieser Zeit in einem Brennpunkt wie Bonames aufzuwachsen.
Was soll ich sagen, ich bin die Assis gewohnt, jeder hier hat Eier wie Wassermelonen. Genauso wars. Weißt Du, wenn Du in so’ner Hood aufwächst, denkst Du darüber nicht nach. Du lebst da halt mit deiner Familie. Du wirst da groß. Allen geht´s gleich scheiße und es ist ein Mikrokosmos. Du kommst da ja gar nicht groß raus. Alles spielt sich auf der Straße ab und als kleiner Junge kriegst Du alles mit. Die Fetzereien, die Einbrüche, die Bullenactions, das Geschrei sich streitender Familien am sozialen Ende der gesellschaftlichen Nahrungskette. Aber auch die schönen Seiten, alles was die Bild Zeitung und Taff nicht zeigen.
Grundsätzlich lässt sich sagen: Wenn Du zu viele Menschen auf zu wenig Platz zusammenbringst, die sich ihre Nachbarn nicht aussuchen können, knallts halt erstens schneller und zweitens öfter. Es weiß ja auch jeder alles von jedem. Du kriegst jeden Streit durch die Kekswände mit, ob Du willst oder nicht. Du kannst in so’ner Hood nicht anonym leben, auch wenn alles sehr anonym ist. Es gibt halt insgesamt wenig Privatsphäre. Wenn dann z.B. einer von den größeren Jungs von den Bullen festgenommen wird, kriegst Du das über die Straße mit, nicht von den Bullen. Streets are talking. Und das geht verdammt schnell.
Es war die Zeit der Jugendbanden (La Mina, Club77, La Razza,…), um nur einige zu nennen. Das gegenseitige Abziehen von Chevignon oder Bomberjacken war damals fast schon Volkssport. Wie war der Alltag für die Schüler zu dieser Zeit?
Nördlich vom Ring liegt Bad Homburg. Da leben fast nur reiche Leute. Für die Jungs, die Jacken abgezogen haben, war das easy. Die sind mit der U2 bis Gonzenheim, einmal ausgestiegen, klick-klack und wieder zurück. Aber zurück im Ring mussten sie die Jacken ja auch verteidigen. Die Älteren haben sich ja den Stress mit dem abziehen von Bonzenkids gar nicht gegeben. Mussten sie auch nicht. Da kamen so viele Jacken in den Ring, das war schon krass. Die haben sie den Jüngeren bzw. den schwächeren grad wieder abgenommen. Ein Kreislauf. Jedenfalls war es krass, wie viele teure Jacken damals im Umlauf waren. Du musst dir vorstellen, die Chevies mit Fellkragen z.B. haben 800 und mehr Mark gekostet. Das war ne Monatsmiete.
Es gab in meiner Schule (ich war auf dem Gymnasium in der Stadt) Kids, die durften die auf dem Schulweg gar nicht tragen. Kalbach z.B. ist ein Ort weiter als Bonames und auch eher gutbürgerlich bis gut betucht. Die sind ja nur eine Station vor Bonames ausgestiegen. Das war im Zweifelsfall keine gute Idee mit so’ner Jacke. Als jüngerer Schüler hatte ich es aber nie schwer. Ich hatte nie Probleme mit den Streetkids aus dem Ring. Die Älteren kannten meine älteren Geschwister oder ich deren jüngere Geschwister. Einige haben mich zwar gehated, weil ich auf dem Gymnasium war, aber viele, gerade die Älteren haben mir immer Props dafür gegeben.
Es war auf jeden ne Ausnahme, auf dem Gymnasium zu sein. Haupt-, Sonder- und Realschule war schon eher der Standard. Deswegen ja auch die Zeile: „Morgens in der Schule kiffen mit Gymnasiasten, nachmittags mit Tschabs, deren Brüder im Knast sind.“ Das ist ne Zeile, die direkt aus meinem Alltag als Teenager stammt. Das war mein Leben im Zwiespalt zwischen „normalen“ deutschen Mittelstands- und Bonzenkids auf der Einen und der harten Realität eines sozialen Brennpunkts, der meine Heimat war, auf der Anderen. Aber, ich hab ja trotzdem viel im Ring gechillt. Ich hab beim SV Bonames gekickt, im Jugendhaus gechillt. Im Treppenhaus oder Keller gekifft. Ganz normal.
Hauptwache, Funkadelic, Neckermann mit einer fabelhaften Auswahl an Rapmusik (früher hinten an der Konsti), WOM (WorldOfMusic) im alten Hertie (jetzt Karstadt), Batschkapp, Music Hall, … wo finden wir deine „Fußabdrücke“ in der Stadt und was war dein beliebtester Ort zum Chillen?
Als Teenie ist man immer in die Batschkapp gegangen. Erstens, weil da auch deine Homies aus der Schule hin sind. Die haben ja alle Rock gehört. Als Raphörer warst Du damals ja als Assi stigmatisiert. Was mir aber immer egal war. Meine Rockhörerhomies haben das schon gediggt. Spätestens, als Aerosmith mit RUN DMC „Walk this Way“ gebracht hatten, oder Red Hot Chili Peppers, Anthony Kiedis, der alte Junkie hat ja auch so bissi gerappt. Übrigens, als „Under the Bridge“ kam, hab ich denen erst mal erklären müssen, dass es da um H geht. Die dachten „Thats were i drew some blood“ bezöge sich auf Schlägereien. Aber Heroin war damals leider sehr präsent im Ring. Ich hab da sehr früh viel zu viel mitgekriegt. Bleche zerren in der Bahn war Stanni. Auf einer dieser „Mit-der-letzten-U-Bahn-in-den-Ring“ Fahrten hat mir damals auch einer im druffen Kopp beigebracht, wie man ein Pack faltet. Nicht, dass ich das damals gebraucht hätte, aber ich konnte es dann halt.
Was war die Frage? Wo ich gechillt hab? Kommt aufs Alter an. Wie gesagt: Viel im Ring. Als das mit dem Kiffen und dem Writen losging, wurde in der Hauptwache gecornert, oder am Südbahnhof oder am Hauptbahnhof. Da, wo die bebombten S-Bahnen vorbeikamen. Im Sommer auf der Hookah-Wiese im Grüneburgpark. Alter, da waren alle 50 Zentimeter Erdpfeifen. Und kein Fahrrad im Umkreis von 500m hatte noch einen Ständer. Aber wie gesagt, ich hab auch mit meinen Homies aus der Schule gechillt. Die Schulband hiess „Der Bassist ist ein Arschloch“. Das waren meine Jungs. Ich hab viel mit denen im Proberaum in Hausen gechillt. Da wurde auch nur gekifft und Mucke gehört. Halt nur Rock. Aber so habe ich früh auch andere Mucke mitgekriegt. Plus, die haben mir Saufen beigebracht.
Ich hatte also glücklicherweise immer zwei Welten zwischen denen ich mich bewegt habe. Das waren zwar zwei krasse Extreme, aber das hat auch früh meinen Horizont sehr weit gemacht. Ich hab halt früh verstanden, dass die Hood nicht alles ist, aber auch, dass die reichen Kids nicht alles Schmocks sind. Ich hatte ja eigene Erfahrungen und musste nicht die Märchen glauben, die sie jeweils auf jeder Seite erzählt haben. Entweder, dass in der Hood alle kriminell und asozial sind oder dass alle, die in Häusern leben arrogante Idioten sind, die kein Gewissen haben. Das ist natürlich beides totaler Mist, den ich früh durchschaut habe.
Ende der Achtziger. Wenn ich mich richtig erinnere, waren Bomber im Frankfurter Stadtbild omnipräsent und immer mehr US Rapgrößen wie z.B. LL Cool J und Public Enemy traten in Ffm auf. Es tat sich was in der Stadt. Nicht zuletzt dank der vielen GI´s, die ebenfalls das Stadtbild prägten. Welche Liebe kam zuerst bei der auf, die zum Rap, die zur Kunst aus der Dose oder ging das Hand in Hand?
Es war auf jeden Fall erst Rapmusik. Ob Du das glaubst oder nicht, im Ring war das wie die Szene in „La Haine“, wo der DJ die Boxen aus dem Fenster dreht, und die Hood beschallt. So war das bei uns in der Ecke in den Achtzigern auch. In der Hausnummer 72 wohnte einer im 5. Stock, der genau das gemacht hat. Alter, der Showoff lief da den ganzen Tag. Da rannten die Jungs auch mit Ghettoblastern rum, ganz normal. In der Ladenzeile wurde auch gebreakt, weil der Boden da gut war.
Manche hatten Connections in die PX (Supermarkt für die in Deutschland stationierten GI´s), wo man natürlich die freshesten Scheiben gekriegt hat. Oder Nikes. Ich werde nie vergessen, wie beeindruckt ich war, als einer von den Älteren komplett von Kopf bis Fuß Nike gesportet hat. Das weiß ich bis heute. Hi Top Nikes, lange Baskeballsocken, Shorts und ein Jersey. Alles weiß, alles mit blauem Swoosh. Alles hat gematcht. Wie Du schon sagst, wir hatten ja die GIs, da kam schon viel ungefilterter US Einfluss auf uns zu. Das waren ja alles selbst total die Unterschichten, Kanonenfutter, alles junge Kerle, die den Dicken gemacht haben. Aber manche waren halt cool und haben Zeug besorgt. Der erste HipHop Live Auftritt, den ich erlebt habe, waren „Bionic Force“ im Jugendhaus Bonames. Mit einem Weißen an der Beatbox. Das war niemand geringeres als die Frankfurt Legende IZ von Konkret Finn. Du musst wissen, dass die ganzen schwarzen und Hispanic GIs schon sehr ignorant und arrogant waren. Alles, was nicht US war, hatte „keinen Plan“. Dabei hatten wir natürlich Plan, jedenfalls einige. Wie z.B. IZ, der einfach eiskalt in deren Cyphers alles kaputt gebeatboxt hat. So krass, dass sie ihn in ihre Gruppe aufnehmen MUSSTEN. Wir hatten ja auch die Doug E Fresh und Biz Markie Maxi Schallplatten. Das Bionic Force Poster hing glaube ich 10 Jahre in meinem Kinderzimmer.
Graffiti mäßig war ich ganz klar vom Jugendhaus am Bügel beeinflusst. Und von meinen täglichen Fahrten in das Frankfurter Holzhausenviertel, wo ich zur Schule ging. Als ich die ersten Insides und Streettags sah, war es um mich geschehen. BOMBER, SAIR, KEEN K, IRON & DACE, NUER, KAIZ, NAEZ, TAS Crew, GBF, MONSTER ab da habe ich jeden Morgen eine halbe Stunde und mittags eine halbe Stunde Extra-Unterricht Straßenkunst belegt. Ich hing am Fenster und habe nach neuen Tags und Throw-Ups Ausschau gehalten. Du hast richtig gespürt, wie dich das beeinflusst hat. Kaum war ich zuhause im Ring und hatte was gegessen, ging es auch direkt ins Jugendhaus, gucken, ob was Neues gemalt worden war. Every fucking day. Bis ich dann mal bei ner GBF Produktion zugucken konnte. Auch das legendäre schwarze spiegelverkehrte NITE Bild wurde gleichzeitig gemalt. Und da stand dann KEEN K und malte seine Characters. Vor meinen Augen. Ich glaub, ich hab eiskalt 5 Stunden zugeguckt.
Einer der ersten Gigs von NORDMASSIV
Dann starten wir doch einfach mal mit der Musik. Nordmassiv: Dreckiger, harter und gemeiner Rap. Frankfurt´s Zunge zu der Zeit. Schildere uns doch bitte wie alles anfing, wer zu der Crew gehörte und wie ihr auf den Namen gekommen seid.
Als ich zu NORDMASSIV kam, gab es den Namen schon. Das war so: KRAZ aus Bad Homburg machte schon Musik, irgendwo in den Tiefen des Taunus. Er rappte schon damals mit AS und fummelte mit NICKEL an Mucke an analogen Geräten. Richtig geiler Nerdshit. Alles musste auf analogen Geräten passieren, die Jungs waren da schon sehr kategorisch. KRAZ war ein krasser Soul, Funk und Sample-Digger. AS auch. Naja, jedenfalls hing man damals in Oberursel im Jugendcafe ab, das war DER Hangout für alles, was im Taunus abging. Dort trafen sie auf EISER, ZORIN und BENS, aus dem Taunus die damals schon Graffitimässig alles auf den nördlichen Lines on lockdown hatten. Sie wollten halt den Norden Frankfurts representen, bzw. alles, was nördlich der Stadt lag.
NORDMASSIV „Schlachtplatte“ NORDMASSIV „Gassenhauer“
Mit KLARK KENT war ich eh schon lange vorher down, weil wir vor all dem Rap und Graffitiding eine andere Leidenschaft teilten, seit wir 12 oder 13 waren: Commodore 64, den ersten Heimcomputer. Wir waren richtig mies verpickelte Nerds, aber wir waren schon krass organisiert, und waren in einer Crackergruppe. Wir hatten Leute, die Spiele geknackt haben. Ich habe damals Logos mit Joystick gepixelt, und KLARK KENT hat auf der Kiste Musik gedudelt. Wir sind auch eiskalt mit Röhrenfernsehern mit dem Zug nach Dänemark auf ein Crackertreffen gefahren und so.
Ich schweife ab, aber das ist nicht so unwichtig, weil es zeigt, dass es mir eigentlich immer um den kreativen Prozess ging. Ich wollte immer irgendwas machen, und das mit Anderen zusammen. Wahrscheinlich war es auch deswegen anders. Wir waren einfach wir, ganz normale Boys, die einen aus der Stadt, die anderen aus dem Taunus, aber Graffiti und Rap hat uns krass zusammengebracht. Und wir alle kamen aus dem Norden Frankfurts. Deswegen auch NORDMASSIV. Keiner war großartiger Gangster oder besonders street, aber in Wahrheit waren wir viel mehr street als die, die damals schon auf krass und Ghetto gemacht haben. Wir waren street, weil wir ja ständig draußen waren. Auf Trains, auf den Straßen – zu der Zeit kamst Du einfach nicht um uns herum. Wir waren genau da präsent, wo Hiphop hingehört: Auf der verdammten Straße. Genau da waren wir. Wir waren normale Jungs, wie jeder andere am Café oder am Corner. Und jeder kannte uns, und wusste, dass wir kein Image verkörperten, sondern genau so waren. Ich weiß nicht, wir waren vielleicht ernsthafter um Flavour bemüht, wir nahmen das alles sehr ernst, weißt Du?
Wir wussten auch alles über die deutsche Szene. Wir waren auf allen diesen Jams, ob in Frankfurt oder außerhalb. Wir haben das krass gelebt und nicht nur so getan. Und wenn wir aus diesen Städten weg fuhren, waren da halt überall NM Tags und Pieces. Ganz normal. Aber wir waren halt nicht so MZEE/Zulu Nation Hiphopper. So haben wir uns nie gesehen. Wir haben das eher verabscheut.
War es ein stufenloser Übergang zur jener Combo, deren Bässe wenig später von vielen Kopfhörern in der U-Bahn hallten: der Binding Squad? Erzähl uns doch bitte etwas zum Werdegang.
Ja klar. Wir haben ja immer gecyphert, ob bei KRAZ im Studio oder bei MEISTER H in Ginnheim, wo auch Turntables standen. Oder auch mal in Vilbel bei DJ Katch und COR, seinem Bruder. Jeder von uns hatte ja auch seinen eigenen Freundeskreis, und alle waren natürlich mit NORDMASSIV down. Aber es konnten einfach nicht alle NORDMASSIV sein. Das ging halt nicht, weißte? Es war wie ein Orden und wir waren da sehr wählerisch. Aber es waren ja sehr viele sautalentierte Leute um uns herum und die haben ja auch was mitgebracht. Also musste ein anderer Rahmen her, der dem Ganzen gerecht wurde. Das war dann die Binding Squad. Das waren im Grunde unsere engsten Freunde, die, die NM am nächsten standen, aber keine Members sein konnten. KLARK KENT, DJ KATCH, DJ RAUCHSTYLES, DJ YESTA, CASER NOVA. Plus natürlich alle, die einfach immer mit uns gechillt haben. Bega, Jense, Binding Smalls, Mike, Shorty, alle Orscheler, die Kronberger – Alder, das sind so viele Leute. Sorry, wenn ich nicht alle aufgezählt kriege.
Welcher Rap Artist hat dich am meisten geflasht, von dem du sagen würdest, dass er dich am meisten beeinflusst hat?
Nur Einer? Oh, das ist mies. wahrscheinlich Chuck D. von Public Enemy. Er ist vielleicht nicht der krasseste Rapper, aber ich hab diese Platten sooo krass oft und lange gehört. Der hatte so ne Ernsthaftigkeit, das fand ich immer krass. Insgesamt hat mich aber Biggie Smalls wohl am meisten abgeholt. So verdammt viel Style and Grace am Mic. Heute noch brutal. Aber auch Nas war sehr prägend für mich. Jigga hab ich zu spät gediggt, der es aber auch wichtig, auch wenn er gehatet wird. Dr. Dre– vielleicht nicht der klassischer Rapper aber ey: Ich höre seit fucking 30 Jahren seine Mucke. Gib dir das mal! Von welchem Künstler kann man das noch behaupten heutzutage? Heute ist es definitiv Kendrick Lamar. Der ist wahrscheinlich Rap-kulturhistorisch so wichtig wie die alle zusammen. Mindestens aber wie jeder von Ihnen einzeln. Die Geschichte wird das zeigen.
Frankfurt´s Söhne haben sehr viel für den deutschen Hip Hop getan und viel geile Scheiße rausgebracht. Hier einmal eine unvollständige Aufzählung: Roey Marquis II, Tone, Moses P. und RHP, Azad, D-Flame, Asiatic Warriors, Konkret Finn. Ich weiß, es ist gemein, aber welcher Künstler ist deiner Meinung nach der, der für die Szene in Ffm am wichtigsten war?
Das ist gar nicht so schwierig. Es ist für mich definitiv KONKRET FINN. IZ und TONE. Ich sag dir auch wieso: Das waren die Jungs, die schon damals im Ben-Gurion-Ring rumhingen. Das waren die ersten deutschen Jungs, die ich live an der Straßenecke erlebt habe, die Battlerap gemacht haben. Richtige Streetdudes. Und 100% HipHop. In Ermangelung anderer Gegner haben die sich halt gegenseitig gebattlet. Immer im Wechsel mit Beatbox. Ich bin wirklich scheißfroh, dass live miterlebt zu haben.
Ich werde niemals diese eine Nacht vergessen: Ich war mit KENT unterwegs, auf dem Weg zur Bahn treffen wir IZ&TONE und zwei, drei andere Homies. Wir wollten eigentlich nur ein paar Tags machen gehen. Daraus wurde eine der verrücktesten Nächte meines Lebens bis dahin. Da war echt alles dabei: Die beiden Jungs am rappen, Inside Tags, Bierkisten klauen, auf ne Party sneaken, Bullenkontrolle und Flaxe. Ja, wir wurden da schon sehr direkt und raw beeinflusst. Deswegen haben wir diese beiden auch bei alle Platten dick represented und versucht mit Referenzen zu würdigen. Weil sie es verdammt noch mal verdienen. Ohne diese beiden gäbe es einfach keinen deutschen Street/Battlerap. Isso. Da kannst Du jeden fragen. IZ & TONE sind die Originators. Punkt.
Zurückblickend auf deine musikalische Karriere, was waren die schönsten Momente, die erfolgreichsten Platten, der krasseste Beef?
Musikalische Karriere klingt so groß. Ich habe das Glück gehabt, auf ein paar ganz geilen Scheiben mit meinen Jungs Mucke gemacht zu haben. Ich freue mich krass, dass das heute nach 18 Jahren überhaupt noch jemand kennt. Echt jetzt mal. Ich hab da sooo viele geile Bilder im Kopf. Von unseren ersten Auftritten in irgendwelchen Jugendhäusern, bis zu unserem ersten Auftritt in der Batschkapp, diese Underground Festivals, die TV-Sachen, im Stadion auftreten, Rock am Ring mit Caser vor 30.000 Leuten. All diese völlig chaotischen, aber deswegen legendären Auftritte. Weißte, wir waren ja immer – sagen wir – nicht so ganz nüchtern. Aber das war egal. Hart spitten ging immer. Die Crowd hat immer gepogt bei unseren Auftritten. Überall sonst haben sie „Hands in the air“ und von links nach rechts scheiße gemacht. Bei uns haben sie Pogo getanzt und alles mitgerappt. Das ist eh das krasseste. Wenn Du da stehst, deine Lyrics kickst, und mitkriegst, dass die das einfach alles auswendig kennen. Ein brutal geiles Gefühl.
Erfolgreichste Platten? Ey, wir waren mega underground und es gab immer nur kleine Auflagen. Aber gefühlt hat jeder im Rhein-Main Gebiet unsere Platten. Ich weiß gar nicht wie das gehen soll. So viele gab es nicht. Aber das Zeug wurde halt ernsthaft geliebt und dementsprechend auch heavy gebootleggt. Ich finde das heute gar nicht mehr schlimm. Es hat unseren Namen am Leben gehalten. Neulich z.B. hab ich meine Nichte auf eine Party in den Grüneburgpark gebracht. Sie sagte, ihre Klassenkameraden würden meine Mucke feiern. Ich dachte, okay, da sind jetzt ein halbes Dutzend Teenies, die sich ein Sixpack teilen, und „Frankfurter Jungs“ mögen. Weit gefehlt. Plötzlich standen locker 40-50 Jungs um mich herum, sind völlig durchgedreht, Selfies hier, Selfies da. Die Mucke läuft und alle singen mit. Alter, ich bin 25 Jahre älter als die. Das könnten alles meine Kinder sein. Und da drehen die so durch. Das hab ich echt nicht kommen sehen. Und die erzählen mir dann, dass sie NM & BSQ Zeug schon immer hören. Die waren noch gar nicht auf der Welt, als wir das aufgenommen haben. Das ist verrückt, Mann. Da krieg ich Gänsehaut des Grauens. Aber es zeigt dir auch, dass, wenn Du etwas aus Leidenschaft und Überzeugung machst, dass es irgendwer raffen wird. Und es vielleicht die Zeit überdauert.
Wie beschäftigst du dich aktuell mit der Musik und gibt es gerade einen Künstler, der dich begeistert?
Ich habe mich vor ein paar Monaten wieder komplett selbstständig gemacht mit STUDIO FATAL, meinem eigenen Kreativbüro. Seit fünf Jahren mache ich STOFF AUS FRANKFURT, ganz ehrlich: Ich komme nicht so richtig dazu. Aber ich hätte mal wieder voll Bock drauf, ein paar heiße 16er zu schreiben und einen Beat zu zerficken.
Ich feier KENDRICK LAMAR schon sehr hart. Ansonsten höre ich gern im Moment Anderson Paak. Aus Deutschland muss man DEXTER nennen. Brutale Beats. Der Typ liebt den Scheiß, das hört man krass raus. Aus Frankfurt mag und schätze ich VEGA sehr, MEEZY und CAS, GREGPIPE, Credibil, C&A, Hanybal – ach es gibt viele gute Leute im Moment. Ich feier es halt, wenn die Jungs Frankfurt stolz machen. Das war auch unser Spirit: Wir wollten die Stadt representen. So, wie wir dachten, dass es richtig sei. Natürlich gibt es auch außerhalb Frankfurts gute Leute. Aber ich finde, die sollen von ihren eigenen Oldschoolern Shoutouts kriegen.
Binding Squad
Woher holst du dir die Inspiration zu deinen Werken?
Von überall her. In meiner Brust schlagen 2 Herzen ziemlich laut. Das Eine ist erzählerisch, Story-telling mäßig. Da schöpfe ich dann aus mir. Das hat sich bei mir zum Texten und Konzipieren entwickelt. Ich habe also einen Gedanken, eine Idee, die ich dann verbal verdichten will. Und mit Verdichten meine ich: Ein Wort. Eine Zeile. Einen Satz. In dem muss es dann aber mehrere Ebenen geben.
Als die Eintracht z.B. auf mich zu kam, und mir anbot, ein Plakat für das Stadionmagazin zu gestalten, wusste ich sofort, was ich machen wollte. Vor 3-4 Jahren dachte ich auch im Eintracht Kontext über ein Motiv, eine Idee nach. Ich wollte etwas, das motivierend ist, ohne pathetisch-schleimig-kitschig zu sein, was leider sehr verbreitet ist. Ich wollte eine Aussage, zu der man als gebeutelter, treuer Eintracht Fan stehen kann. Und ich wollte vom Look her etwas dreckiges, streetmässiges, und nicht so geschliffene Gestaltung. Das Ergebnis war mein „alleSGEben“ Plakat. So was meine ich. Da steckt in 10 Buchstaben alles drin, was ich sagen will. Die andere Seite in mir ist gestalterisch, also sehr visuell. Ich steh auf Letters, in jeder Form. Und da gibt es echt sau viel zu entdecken, wenn man mal hinguckt.
Ich liebe es z.B. Länder zu bereisen, deren Schrift ich schon nicht lesen kann. Kürzlich war ich in Vietnam. Das ist geil, weil überall Schrift ist, aber sie nicht mit dir spricht. Weißt Du, als Writer sprechen die Wände mit dir. Du siehst jeden neuen Tag, jedes neue Piece. Du guckst immer, ob die Trains gebombt sind. Automatisch. Du kennst alle interessanten Stellen, und die letzten 5 Bilder die da mal waren. Ich erkläre ganz normal meinen Writerkollegen Adressen nicht mit Straßennamen, sondern so: „Da wo der gelbe ZORIN Throw-Up war.“ Oder: „Hinter dem Stresemann Yard“.
Ansonsten sind natürlich viele Artists inspirierend. Das müssen nicht Gestalter sein. Du hörst gute Lyrics und denkst: „Shit, was für eine geile Zeile über ein ganz bestimmtes Gefühl, wie geil erzählt“. Oder Du siehst eine Designerin, die abgefahrene Klamotten entwirft. NICOLA REHBEIN, ein junger, sehr talentierter Fotograf und guter Freund von mir, ASTRO, auch ein sehr guter Freund von mir und harter Trainwriter. Meine Freundin Laura und ihre völlig andere Sichtweise auf Dinge, die ich so noch nicht gedacht habe: All sowas inspiriert mich. Aber auch die alten Kings aus allen Disziplinen. Die Jungs, die vor mir da waren, und die Jungs und Mädels, die nach mir kommen. Das alles ist Inspiration. Alles ist Alles. Die Motivation für das alles hole ich mir zB. aus kleinen Szenen.
Kennst Du Hector Picard? Der Mann, der einen Rennradreifen wechselt? Natürlich nicht einfach so. Der fährt halt grad den fucking IRONMAN und hat einen Platten. Der Typ wechselt diesen Reifen in unter 4 Minuten. Steigt auf, und fährt das Rennen zu Ende. Das Ding ist: Der Typ hat keine Arme, und macht das in aller Seelenruhe ohne fremde Hilfe. Wenn Du also mal wieder am rumheulen bist, und Motivation brauchst: Guck dir dieses 4-minütige Video an. Wenn Du dann immer noch rumjammerst, dann kann ich dir nicht mehr helfen: Dann bist Du einfach ein Schmock.
Wie würdest du deine Entwicklung von der Grauzone in die legale Welt beschreiben? Also von dem vermummten Sprühen, dem Adrenalin bis hin zu den ersten Auftragsarbeiten.
Als ganz natürlich. Ich habe ja meinen ersten Auftrag für den Gemüsemann im Ring gemalt. Sein Neffe war ein Kumpel von mir, und der erzählte ihm, dass ich gut sprühen kann. Dabei war ich damals noch am Anfang. Der hat jedenfalls das gecheckt und das Feuer in meinen Augen gesehen. Also hat er mir 500 DM gegeben, und ich hab seinen Namen, Obst und Gemüse draufgemalt. Das Ding ist: Der Laster fuhr jeden Tag 2x Mal komplett durch Frankfurt. Dieser fucking Laster hat mir echt viel Fame gebracht.
Zu deiner Frage: Ich glaube, der Schritt in die Legalität ist nicht für jeden das Richtige. Ich kenne so viele illegale Maler, die interessiert das einfach gar nicht. Und ich finde das gut. Ich verstehe das. Ich checke die Motivation, die diese Jungs antreibt. Aber das hält nicht ewig an. Bei mir ging es tatsächlich immer um Kreation, nicht um Destruktion. Aber, das Eine bedingt das Andere. Du musst manchmal etwas zerstören, um Etwas Neues erschaffen zu können. To Create We Must Destroy. Das heißt aber für mich nicht zwingend Zerstörung. Es kann auch altes Denken und alte Verhaltensmuster sein, die zerstört werden müssen. Was ist falsch daran, wenn ich etwas kreiere, und es verkaufen will? Das hat doch nichts mit Sell-Out zu tun. Ich habe darüber nachgedacht, ich habe dafür gelebt, dafür geblutet und verdammt viel investiert. Nämlich nichts weniger als mein Leben. Das klingt pathetisch-as-fuck, aber denk mal drüber nach. Es braucht immer die Leute, die keine Scheiß Kompromisse machen. Nur dann bleibt etwas real, dann kann es geliebt werden. Und das kann man überprüfen. Man muss sich nur die Zeit nehmen.
Ich achte jedenfalls krass darauf, das alles, was ich sage, schreibe, male, produziere, überprüfbar bleibt. Guck ruhig nach. Ich habe immer Hinweise eingebaut, die man verstehen kann, wenn man will. Wenn Du lange genug guckst, erkennst Du diese Zeichen. Dann weißt Du, wie ich Entscheidungen treffe und nach welchen Kriterien. Dann weißt Du, wer ich bin.
An der Stelle ein Kompliment an deine Fragen: Ich merke krass, dass Du Dich ernsthaft mit meinem Shit auseinandergesetzt hast. Das feier ich. Gibt es heutzutage viel zu selten.
Vielleicht täuscht mein Eindruck, aber mir schien es so als das Graffiti im Rhein-Main Gebiet bis Mitte der Neunziger richtig big war und dann der Beton erst einmal grau geblieben war. Aber heute sehe ich keine einzige ungenutzte Wand mehr. Siehst du das auch so, dass es in den letzten Jahren wieder mehr geworden und das Stadtbild sehr viel bunter geworden ist?
Nein, das sehe ich nicht so. Graffiti kann man nicht stoppen. Nie. Die Obrigkeit und viele „Spiesser“ denken tatsächlich, dass sie mit immer repressiverer Politik und drastischeren Strafen Graffiti kontrollieren können. Das wird nicht gelingen. Ich würde mir wünschen, die Menschen würde verstehen, dass Graffiti immer als Motor den eigenen Ausdruck hat, und keine materiellen Ziele verfolgt. Das sind einfach zwei grundsätzlich verschiedene Auffassungen. Man muss sich ab und zu einfach vor Augen führen, dass Leute, die draußen, also illegal Graffiti machen, das nicht machen, weil sie etwas davon haben, außer Selbstbestätigung und Anerkennung.
Die Motive liegen ganz woanders. Zwischen „Seht her, es gibt mich!“ und „Ich ficke dieses System!“ gibt es da alles. Wenn die Gesellschaft begreift und akzeptiert, dass es immer Menschen geben wird, die sich ausdrücken wollen, und das auch tun werden, ohne zu fragen – erst dann wird es eine Annäherung geben. Aber, selbst wenn nicht: Graffiti ist das egal. Graffiti fragt nicht, Graffiti ist.
Jorge, inwiefern warst du bei dem Projekt am EZB Bauzaun und dem Gewinn einer legalen Graffiti Fläche an den Riederhöfen (Hall of Fame) beteiligt?
Stefan Mohr, der das Naxos Atelier betreut, ist ein sehr wichtiger Mann für Frankfurts Graffiti der letzten Jahre. Als die Naxos Halle noch stand, hat er ziemlich schnell gecheckt, wie wichtig Graffiti für die Leute ist. Ihm ist es hauptsächlich zu verdanken, dass da die letzten Jahre soviel passiert ist. Das muss man einfach mal sagen. Außer ihm haben COR ONE, BUD ONE, CASE/Maclaim, ME ONE und nicht zuletzt KLARK KENT dafür gesorgt, dass das Thema immer lief. Stefan hat die Connections zur Stadt aufgebaut und denen klar gemacht, dass, wenn man an öffentlichen Stellen Qualität malt, das eben nicht den „Broken Window“ Effekt hat, sondern einen kulturellen, der bereichernd für die Öffentlichkeit ist. Eine der ersten größeren Aktionen war z.B. ja auch die Malaktion am Gleisdreieck. Also, die großen Bilder dort. Das waren die gleichen Boys. Die UF hat da die richtigen Leute rangelassen, dafür an der Stelle Props. Es gibt viel Liebe für Graffiti aus der Fußballszene. Und, guck dir an, was daraus geworden ist!
Zu deiner Frage: Klar, ich habe von Anfang an an diesen Aktionen mitgemacht. Stefan hat mich jedes Mal gefragt, und ich hatte immer Bock, das zu unterstützen. EZB, Friedensbrücke, Ratswegkreisel. Ich denke halt so: Wenn man die Normalos mit Qualität überzeugen kann, das Graffiti geil ist, dann kann man nur gewinnen. Ich will ja auch keine Biene Majas in Kinderzimmer malen, sondern dass, worauf ich Bock habe. Wenn man also konsequent seinen Shit in guter Qualität draußen in der Öffentlichkeit malt, dann checken das die Leute irgendwann. Ich weiß, dass viele Leute das Legalmalen haten, aber ey: Ich wette, mit den paar Legalmalaktionen haben wir in den letzten 5 Jahren mehr Werbung FÜR Graffiti generell gemacht, als die 20 Jahre davor mit illegalem Graffiti. Die gesteigerte Akzeptanz gilt ja dann für komplett Graffiti. Ich verstehe natürlich auch jeden, der nicht legal malen will. Das ist jedem selbst überlassen. Für mich ist das mittlerweile das Richtige, öffentlich legal zu malen. Ich will eh niemandem irgendwas beweisen. Ich will einfach nur ein gutes Bild malen, wenn ich an die Wand steppe. Das war noch nie anders.
Für dich scheint der Tag zu wenig Stunden zu haben. Kommen wir zu einer weiteren Leidenschaft, die dein Leben aktuell ausfüllt, deinem Label: Stoff aus Frankfurt. Erst einmal herzlichen Glückwunsch zu dem genialen Namen. Wie fing das alles an und wie würdest du die Philosophie hinter deiner Marke beschreiben?
Ja, ich mache ziemlich viel Zeug, das stimmt. STOFF AUS FRANKFURT ist mein Baby, Mann. Vor 5 Jahren hatte ich gerade aufgehört für eine große Agentur zu arbeiten, und überlegte, was ich jetzt mache. Soll ich in den Urlaub fahren? Einen neuen Rechner kaufen? Oder endlich mal das machen, wovon ich schon länger geträumt hatte: Das mit den T-Shirts endlich mal richtig zu machen. Ich bin also nicht in den Urlaub gefahren, sondern habe angefangen, einen Namen zu suchen. Mir war schnell klar, dass ich nicht ein hippes englisches Wort nehme, und ein „cooles’ Image drumrum stricke. Das macht ja jeder. Nein, ich wollte etwas machen, was mit mir zu tun hat, und mit meinen Leidenschaften. Aber, ich wollte kein „Graffiti“-Label machen. Das war mir zu nischig. Nein, ich wollte echt rausfinden, ob man den Leuten das alles präsentieren kann, ohne sich anzubiedern, aber trotzdem etwas anders zu machen. Mich kotzten diese Touri-Shirts auf dem Römerberg schon immer an, und ich hab mich geärgert, dass jeder, der in Ffm Klamotten macht, immer nur dieses Aggro Image bedient. Das finde ich whack. Ist doch nicht jeder ein Schläger und Dealer in Frankfurt. Ist doch peinlich, Mann. Ich hab da immer nur die Vorstadtbauern mit identifiziert. Vor allem aber, wollte ich nie mit so was rumrennen. Aber kritisieren ist immer einfach. Man muss es halt anders machen. Das war mein Anspruch. Ich wollte was dopes machen. Und ich wollte, das im Namen schon drinsteht, worum sich alles dreht, was ich je im Leben gemacht habe: Ob Mucke, Graffiti oder Schreiben: Es ging eigentlich immer um Frankfurt. Und so kam ich auf dieses wunderschöne Wortspiel, das mit Klamotten und Dopeness spielt. STOFF AUS FRANKFURT. Hab bestimmt ne Woche nur darüber nachgedacht, ob man das rafft. aber nach der Woche war es mir egal und ich habe angefangen.
„It´s Matchday Bitches!“ Du bist bekanntermaßen ein großer Fan der Frankfurter Eintracht. Besuchst du viele Spiele oder bist du eher so ein kleiner Rosinenpicker?
Ach, im Moment komme ich echt zu nix, nicht mal raus ins Stadion. Aber ich gucke jedes Spiel, mindestens im Stream. Aber wenn Du soviel Zeug machst, kannst Du dir nicht leisten, zwei Tage auszufallen. Und das kann schon mal passieren, wenn man rausgeht oder auswärts fährt, haha. Aber klar, hin und wieder geh ich raus, eigentlich so oft ich samstags nicht irgendeine Verkaufsaktion habe oder es gilt, eine dicke Wand zu malen. An so einer Wand malst du ja auch zwei volle Tage. Das ist richtig Arbeit, Mann. Ich denke, wenn ich was male, trage ich auch meinen Teil dazu bei, die Stadt zu representen. Genauso, wie jeder, der auf den Rängen abhängt oder im Steher singt.
Wir hätten dir dreißig-vierzig Fragen stellen können, aber wir wollen es ja für die Leser noch ein wenig übersichtlich halten, deshalb schließen wir das Interview mit deinen letzten Worten ab. Feuer frei!
Ach, ich hab schon soviel gebabbelt jetzt. Ich glaub, es reicht auch mal. Vielleicht zum Abschluss nochmal Danke an jeden, der meinen Shit in irgendeiner Weise unterstützt hat. Ich weiß das sehr zu schätzen. Die Leute denken immer, es wäre panne, mich anzusprechen oder mir das zu sagen. Das Gegenteil ist der Fall. Das pusht mich. Das motiviert mich. Das zeigt mir, dass aus den Gedanken, die ich entwickele, etwas entsteht, was da draußen ankommt. Dieses Feedback ist mein Motor.
Generell würde ich mir wünschen, dass die Leute einfach das unterstützen, was sie geil finden. Das ist wie beim Essen: Holt euch lieber das Essen vom Erzeuger als aus dem Supermarkt. Unterstützt die Leute aus eurer Umgebung, statt die Großkonzerne. Kauft Bilder und Klamotten von Künstlern, die versuchen, ihren Lebensunterhalt damit zu bestreiten. Und nicht bei fucking IKEA. Was habt ih schon mit einem schwedischen Möbelhaus zu tun, dass weltweit die Wälder abholzt? Lasst euch lieber ein Regal von jemandem bauen, der Schreiner gelernt hat.
Den findest Du garantiert, wenn Du dich im Freundeskreis umhörst. Unterstützt eure lokalen Künstler, sonst können die bald nix mehr für euch malen, bauen und machen. Ansonsten: NUR DIE SGE. Peace.
Jorge Labraña aka FUEGO FATAL
Stoff aus Frankfurt
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