Unser lieber B. war bekanntermassen in der ersten Jahreshälfte einige Wochen in Brasilien mit seiner Herzdame unterwegs und hat ein paar Eindrücke von seiner Reise zu Papier gebracht. Aufgrund von diversen Terminen und Zeitdruck wegen Sapeur OSB Materiale und Interviews hatte ich leider noch keine Zeit gefunden, den Reisebericht zu strukturieren und zu posten. Ja, Asche auf mein Haupt. Mein lieber B. diese Verzögerung hat der Artikel nicht verdient, aber wat willste machen, wenn alles nur auf wenigen Schultern verteilt ist ;o)) Nun isses aber endlich so weit und wir wünschen euch viel Vergnügen mit dem Werk.
Streetart, Sportplatz, Schuhkultur – Ein Reisebericht von ihr & mir
Sommer, Ferien, Urlaubszeit und der Ball rollt bereits wieder in der jungen Bundesligasaison! Passend zu den sommerlichen Temperaturen wollen wir euch auf einen kulturellen Tripp nach Brasilien mitnehmen und euch etwas andere Reiseeindrücke schildern, die „sie und ich “ auf einem sechswöchigen Trip von Salvador bis Porto Alegre sammelten. Einiges davon haben wir in einem dreiteiligen Reisebericht mit den Themenschwerpunkten „Streetart, Sportplatz, Schuhkultur“ aufgeschrieben.
Wer den Plattformen von Sapeur OSB folgt, hat sicher von dem sechswöchigen Trip durch das größte Land Südamerikas mitbekommen, den meine Herzdame und ich erleben durften. Wer eine Reise tut, der hat was zu erzählen: und zwar einen etwas anderen Reisebericht, der sich in den gängigen Reiseführern wohl eher nicht nachlesen lässt.
Neben den Einflüssen der deportierten Sklaven aus Afrika ist die Gesellschaft des Landes durch die ehemalige Kolonialmacht Portugal und durch viele Millionen europäische Einwanderer des 18. und 19. Jahrhunderts, u.a. aus Deutschland und Italien, geprägt. Mit den indigenen Einflüssen hat sich hieraus eine eigenständige brasilianische Kultur entwickelt. Als der „westlichen Welt“ zugehöriges Land werden dort den selben Götzen des Kommerz gehuldigt wie in den Vereinigten Staaten und den europäischen Metropolen; es locken die Logos der etablierten Burgerbratereien, Zuckerbrausenmischer und Kaffeehausketten. Telefone mit angebissenem Apfel gehören zum Straßenbild und aus den Radios dudelt die bekannt miese anglo-amerikanische Mainstream-Mukke. Doch verbannt man diese Störfaktoren aus seinem Blickfeld und öffnet sich für unbekannte und fremde Eindrücke abseits der Einkaufsviertel, offenbart sich der kleine feine Unterschied, links und rechts des Atlantiks.
Unser Trip führte uns von Salvador de Bahia über Belo Horizonte und Rio de Janeiro bis Porto Alegre. Auf einem Längsschnitt über 3000 Kilometer durch die bevölkerungs- und wirtschaftsstärkste Nation Südamerikas, was selbst die Strecke von Paris nach Moskau übertrifft, entstanden Einblicke, die wir anhand der drei Themenschwerpunkte „Streetart, Sportplatz, Schuhkultur“ in den nächsten Wochen vorstellen werden.
Teil 1 Schuhkult-ur
Es ist stets kritisch via Stereotyp eine Vielzahl von Menschen über einen Kamm zu scheren; sind solche Allgemeinplätze doch stets negativ besetzt und bedienen meist Vorurteile. Weil die folgenden Eindrucke nicht despektierlich gemeint sind und sich meines Wissens moralische Instanzen im Range einer Renate Künast nicht zu unserer Leserschaft zählen dürften, erlaube ich mir nachfolgend von „dem Brasilianer“ zu berichten. Denn was die Wahl der Fußbekleidung betrifft, entspricht es schlichtweg der Wahrheit: Der Brasilianer steht auf Havaianas!
Auf den aus Kunststoff gefertigten Zehentretern mit Zehensteg und Schrägriemenbefestigung aus heimischer Produktion macht der Brasilianer praktisch alles. Strand, Urwald, Stadtdschungel, arbeiten. Alles!
In gut sortierten bundesrepublikanischen Szeneläden und im Internetz sind die Exemplare der Gattung Flip-Flop zu finden, kosten aber ein vielfaches mehr. Werden im Schnitt 25 Einheiten der europäischen Gemeinschaftswährung aufgerufen, sind sie in heimischen Gefilden umgerechnet für weniger als nen Zehner zu haben.
Hatte ich mein Paar bisher nur zum Duschen, im Schwimmbad oder zum gechillten Flanieren an Rhein und Main verwendet, konnte ich nun endlich ihre umfänglichen Einsatzgebiete auf Herz und Nieren erproben. Spaß bei Seite: Um nicht Ziel von Gelegenheitsdieben zu werden, vermieden wir weitestgehend Rucksäcke, Uhren, Kameras, Markenklamotten und -schuhe zu tragen. Ob unsere Strategie aufging oder Taschendiebe ihr Handwerk aufgegeben haben, wissen die Götter. Jedenfalls wollten wir nicht sonderlich zum Überfallen einladen und kamen auch nicht ansatzweise in eine solche Situation.
Wie auch immer, die Havaianas waren stets passende Begleiter. Temperaturen zwischen 28° und 35° Celsius am Tag und selten unter 20° in der Nacht, machten festes Schuhwerk überflüssig. Apropos festes Schuhwerk: Bei unseren Wanderungen durch den atlantischen Regenwald fungierten die Verwandten der Adilette als beste Wahl. Wo Matsch, Sand und Regen skrupellos Marathon TR Mid Nigo und Trailrunner in matschigen Ballast verwandelten, blieben die Havainas gelassen wie ein liegender balinesischer Buddha. Zudem boten sie einen unfassbaren Halt, den die vermeintlich ebene Sohle so nicht erwarten lies.
Die soziale Stellung ist in Brasilien vermutlich an den Schuhen erkennbar. So tragen die „einfachen Leute“ mehrheitlich Havaianas. Wer was auf sich hält und es sich leisten kann trägt „Tenis“, wie die Turnschuhe in Brasilien genannt werden. Bevorzugtes Modell seit langer Zeit sind Nike Shox. Das muss man mögen und teuer bezahlen, denn Turnschuhe sind wesentlich teurer als in Europa. Shox kosten beispielsweise etwa 800 Real, was über 200 Euro entspricht. Bei fast allem, was über den täglichen Bedarf hinausgeht, werden die Preise in Monatsraten angeboten und so werden auch Tenis über zwei Jahre oder länger in Raten abbezahlt. Neben Nike sieht man in den Sportgeschäften überwiegend knallbunte Modelle der Marken Asics, Brooks und Mizuno. Die auf europäischen Tribünen zu sehenden klassischen Modelle von Adidas, New Balance und auch Nike sucht man hier vergebens. Adidas beispielsweise hat in den beliebten Shopping-Centern der Großstädte eigene Brandstores, in denen Artikel der Sparte „Originals“ bis auf einen versprengten Samba oder ne alleinstehende Gazelle nicht zur Auslage gehören.
Ausnahme bildet der adidas Outlet Store in Belo Horizonte, der mit L.A. Trainer und einigen ZX Modellen aufwarten kann, die auch in Schaufenstern schlecht sortierter Turnschuhketten in deutschen Fußgängerzonen zu finden sind.
Turnschuh oder Tenis, es ist eigentlich egal, denn die BrasilianerIN steht auf High-Heels und das zu allen möglichen – und wie meine Herzdame neidvoll anerkennen musste – für Europäerinnen unmöglichen Gelegenheiten.
Die Bühne gehört somit zurecht den High Heels und natürlich auch den Havaianas und weniger den mittel- und oberschichtigen Shox.
Teil 2 Sportplatz
[G]eld [S]pielt [K]eine [R]olle
GSKR wird geheimhin in etwa wie folgt gedeutet: „Komm Junge, scheiß aufs Kleingeld! Die Patte kommt aus der Wand und muss unters Volk. Heut ist Achterbahn, morgen dann Dispo“.
GSKR kann aber auch bedeuten, dass Geld tatsächlich keine Relevanz besitzt, weil keine Notwendigkeit eines Tauschmittels besteht, wie beispielsweise bei einer Schenkung.
Entsprechend dieser beiden Extreme pendelten wir gedanklich bei der Wahl der Übernachtungsmöglichkeit hart zwischen Luxushotel und Couchsurfing. Da uns aber mal eine Abwechslung zum alltäglichen Kaviar-Frühstück mit Champagner reizte, entschieden wir uns fürs Couchsurfen. Warum auch nicht? Ich bin kein Jurist, ich sehe die Dinge pragmatisch! Denn es gab meines Erachtens drei Optionen:
- Wir sind okay + Gastgeber ist okay = alles okay
- Wir sind okay + Gastgeber ist unokay = wir buchen Luxushotel
- Gastgeber = Abripper = angemessen übertriebene Eskalation
Jedoch trat keine der drei Möglichkeiten ein. Vielmehr sollten wir einen Gastgeber kennenlernen, der uns wie ein langjähriger guter Freund aufnahm und uns eine wunderbare Woche bereitete, obwohl wir anfangs nur zwei Übernachtungen geplant hatten.
Nach unserem Aufenthalt in der ehemaligen Hauptstadt Salvador de Bahia führte unsere zweite Etappe ins rund 1500 Km südlichere Belo Horizonte was auf Deutsch „Schöne Aussicht“ und die Hauptstadt des Bundesstaates Minas Gerais ist. Die Gegend ist sowas wie eine Metal-Hochburg. Die Cavalera-Brüder der Band Sepultura stammen von hier und im alltäglichen Stadtbild sind haufenweise Kids mit diversen Band-Shirt zu sehen.
Apropos Stadtbild, die ehemalige Goldsucherstadt wurde Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts fast komplett plattgemacht und schachbrettartig vorwiegend mit Hochhäusern im Bauhausstil wiedererrichtet. Wer für diesen Stil ein Faible besitzt kriegt beim Spazieren durch die Stadt den Mund vor Staunen nicht mehr zu. Alles erinnert an die Kulisse von Blade Runnern, nur eben in Schön. Es zeigt sich ein einzigartiges Stadtbild – ganz anders als Rio und alles andere was man gemeinhin unter „Brasilien“ versteht. Aber dennoch ist Belo auch ganz und gar brasilianisch.
Unser Gastgeber (nennen wir ihn) Elton wohnt etwas außerhalb des Zentrums im Viertel „Betânia“. In seinem Kiez befindet sich ein Sportplatz, der den Betânia Esporte Clube beheimatet. Mit seinem Ascheplatz erinnert er an Vereinsfußball aus Kindertagen. Genau wie bei uns leben diese Strukturen von individuellen Engagement. Wir trafen den 74-jährigen Sebastiao Bento de Souza, der sich seit über 45 Jahren ehrenamtlich für den Erhalt des Platzes engagiert und seit seiner Rente praktisch jeden und den gesamten Tag auf dem Sportplatz verbringt. Sichtlich erfreut über unser Interesse zeigte er uns das Vereinsheim und die Pokalsammlung, die vom Umfang und der Art der Pokale wirklich imposant ist. Er erzählte uns auch von vielen Schwierigkeiten – urbane Ascheplätze sind nicht unbedingt die Prestigeobjekte an denen sich Kommunalpolitiker austoben. Um den Betrieb am Laufen zu halten sind die gefragt, die es interessiert, man muss Zeit investieren und zuweilen kämpfen damit so ein Ascheplatz blüht und nicht nur die staubtrockene Aura seiner Oberflächenbeschaffenheit ausstrahlt. Denn schicken Rasen gibt es anderswo, nicht in Betânia wo überwiegend ganz normale Leute leben.
Auf einem anderen Kontinent der südlichen Erdhalbkugel, viele tausend Kilometer weg von Daheim, werden so die internationale Bedeutung und die Gemeinsamkeiten in Sachen Fußballkultur auf erstaunlich direkte Weise deutlich: Wer nicht will, dass andere über die individuellen Fußballvorlieben entscheiden der muss sich selbst darum kümmern, dass der Ball am Rollen bleibt. Elton und Senhor Bento de Souza machen eben das. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein, sie trennen fast 50 Jahre Altersunterschied verfolgen aber das gleiche Interesse: Kein Stillstand, sondern Entwicklung. Sie sind Teil eines Kollektivs (Coletivo 1207) das sich für den Kiez einsetzt. Für die Nutzung des Raumes im Interesse der Menschen die dort leben. Dabei motivieren sie durch ihr Engagement andere und veranlassen dazu, sich zu bewegen.
Teil 3 Streetart
Nachdem wir in den ersten beiden Teilen in Sachen Fußbekleidung und Sportplätze berichteten, widmen wir uns im dritten Teile der Straßenkunst im weitesten Sinne, also „Schmierereien im öffentlichen Raum“.
In Brasilien gibt es natürlich auch Graffitis, sogenannte „Pixo“ und natürlich auch Streetart. Wer japanischen Whisky kennt, der weiß was gemeint ist: Wird hergestellt wie Scotch, sieht aus wie Scotch, schmeckt gut wie Scotch nur eben mit dem kleinen Geschmacksunterschied von mehreren tausend Kilometern (Nicht das ich schimpfe bekomme, das hat der B. geschrieben – Anmerkung des Trip…äh Tippers ;o)). Und ähnlich verhält es sich bei der Straßenkunst. In Brasilien beheimatete Tiere beispielsweise sind ein häufiges Motiv. Daneben hat das ganze oft eine sozialkritische Komponente und bedient sich aller Stilrichtungen. Dabei entsteht eine ganz eigene Ästhetik, die man im heimischen Straßenbild so nicht sieht. Macht euch nachfolgend Euer eigens Bild der Bilder und zur besseren Orientierung, wo ich denn diese Kunstwerke gefunden habe, habe ich noch drei-vier Sätze zu der jeweiligen Stadt beigefügt.
Salvador de Bahia Pelourinho
Der Pelourinho, die historische Innenstadt Salvadors war in den 1970er- und 1980er- Jahren sowas wie seinerzeit das Frankfurter Bahnhofsviertel: Verrucht, von zweifelhaftem Scharm, versifft… nur nennenswert gefährlicher. Mittlerweile wurde das Viertel einem touristenfreundlichen Aufhübschungsprogramme und als Folge dessen einer strikten und kompromisslosen Entkriminalisierungskampagne unterzogen. Heute ist es hier „schön und sicher“, schön durch die bunten renovierten Fassaden und sicher durch die bis an die Zähne bewaffnete Stadtpolizei, die sich int einer Frequenz von 100m postiert.
Lencois
Der kleine Ort liegt im atlantischen Regenwaldgebiet westlich von Salavador, der mit seinen einfachen Häusern und Kopfsteinpflastergässchen wirkt als wäre er in der Zeit der Goldgräber stehen geblieben. Die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Brasilianer ist sprichwörtlich aber die Freundlichkeit und Offenheit der Leute dort sucht ihres Gleichen. Der Ort strahlt eine unglaubliche Entspanntheit und Ruhe aus, die sich schnell auch auf die Besucher übertragen. Die chillige Atmosphere zeigt sich auch in den dortigen Motiven, Muscheln, Hündchen, Schlafende…
Trinidade
Stellt euch mal ein tropisches Hippie-Dorf am Strand vor, dann habt ihr eine ungefähre Ahnung von dem Ort im Bundesstaat Rio de Janeiro. Wer auf Strandparties in Hölzhütten mit Bier und Musik der Ramones steht, ist hier richtig.
Rio de Janeiro – Santa Teresa
Gegen Ende des 19. Jahrhundertes entstanden im Stadtteil vornehme Villen. Als es die Bessersituierten in den 1960ern nach Leblon und Copa Cabana zog, verfiel das Viertel in einen Dornröschenschalf, der allmählich durch Alternative, Künster und der ansässigen Bevölkerung wiederbelebt wird. Dort entsteht wohl sowas, wie in Kreuzberg in den 1980ern, nur mit ner Spur mehr Salsa statt Streetcore. Wer diesen pionierhaften Flair des entstehens erleben will, sollte sich in den nächsten Jahren mal ein Tripp nach Rio reinplanen. Denn in zehn Jahren wird es vermutlich so entwickeln wie Kreuzberg, wo mehr mit der Asche gutes Geld verdient wird, statt die Flamme vor dem Erlöschen zu bewahren.
Rio de Janeiro – Lapa
Lapa ist sowas wie das Ausgehviertel Rios. Was dort wochenends los ist, kann man in Europa wohl vergeblich suchen. Die Kneipen sind voll mit Menschen, die Bürgersteige sind voll mit Menschen und die Straßen sind voll mit Menschen. Wobei die weiblichen Menschen, das Wort „Overdressed“ nicht einmal aus Erzählungen zu kennen scheinen. Da gibt es kein europäisches Understatement, da wird richtig aufgefahren! Caipirinha – statt mit Eis wie bei uns, mit Cachaca aufgegossen und auf Wunsch aus Halb-Litergläsern – ist der Super Plus Treibstoff der Feiernden.
Aber ähnlich wie etwa in Sachsenhausen oder im Bahnhofsviertel hat auch hier die Gentrifizierung Einzug gehalten und alteingesessene Bewohner müssen um ihre Wohnungen fürchten. Das Viertel gilt wieder als schick, Reiche kommen und verändern die Wohnpreis-Situation und Investoren wittern dort die schnelle Mark. In Lapa bilden Nachtleben und tägliche Existenzängste zwei Seiten einer Medaille, genau wie Chance und Risiko.
Befreie deine Träume # jetzt
Einfache Botschaft doch jeder weiß, dass eben das schwierig ist. Gerade in Brasilien, wo der Zugang zum „Normalen“ nicht jedem möglich ist. Da kommt zum Wollen der Umstand des Könnens, was schnell zum einfach nicht die Möglichkeit haben wird.
Hier aber wird gesagt, du sollst… und wenn du es nur aufschreibst:
„Mein Traum ist…
Reisen
Friede für alle
Entwicklung ….. „
Ob für dich selbst oder für alle anderen, sagt dieses Graffiti, mach was draus. Es ist für jeden da, steht nicht für EINE Subkultur, nicht für DEN Künstler.
In diesem Sinne ganz brasilianisch: Befreit eure Träume und wenn sie nur Träume bleiben… sie sind an dieser Wand präsent.
Euer B.