Spassboxereien am Bahnhof, Scharmützel in den Innenstädten und gewaltige Mobs, die bei internationalen Turnieren lautstark und vereint auftreten: „Wer nicht dabei gewesen ist, der kann sich das nur schwer vorstellen“ – Sätze wie dieser fallen immer wieder, wenn es um die 1980er Jahre geht und damit um die Hochzeit des oftmals auch handfesten Fußballerlebnisses. Eine Zeit, in der rund um das Spiel mit dem Ball noch viel Unmögliches möglich war und man nicht gleich „SV“ aufgebrummt bekam, wenn einem in der Kurve mal das Feuerzeug runtergefallen ist. Lebhafte Eindrücke dieser Epoche vermittelt André in den inzwischen bereits über hundert Folgen seines Podcasts Heisse Kurven, treue Typen – Fans zwischen Leidenschaft und Fanatismus. Selbst Szeneveteran, führt der Leverkusener dabei aufschlussreiche Gespräche mit Fußballfans aller Couleur – ganz egal, ob Kutte, Erlebnisorientierter oder Ultrà. Höchste Zeit also, AT selbst einmal mit Fragen zu löchern. Also gönnt euch ein Kaltgetränk und lest hier, was er so zu erzählen hat.
Gude AT! Prima, dass es mit dem Interview geklappt hat. Normalerweise stellst Du deinen Gesprächspartnern die Fragen, aber heute sitzt Du auf der anderen Seite des Tischs. Stell dich doch bitte einmal kurz unseren Lesern vor.
Tach zusammen! Ja mein richtiger Name ist André, ich bin inzwischen tiefenentspannte 50 Jahre jung und stamme aus Leverkusen.
Demzufolge bist Du in der Szene Leverkusen aktiv, und dein Bekanntheitsgrad reicht über das Bayerkreuz hinaus. Wie bist du eigentlich zum Fußball gekommen und wie verlief deine Fan-Karriere?
Zum Fußball kam ich klassisch mit dem Vater, der mich als Achtjährigen damals zum lokalen Zweitligisten Bayer 04 mitgenommen hat. Danach nahm das Verhängnis seinen Lauf… 😉
Meine frühen Jahre im Stadion könnt ihr gerne in einigen Podcast-Episoden hören, hier empfehle ich die Folgen die mit AT# beginnen, so ab Episode 56.
Wie bist Du mit den erlebnisorientierten Fans in Kontakt gekommen und wie wurdest Du ein fester Bestandteil dieser Szene?
Sowohl in meinem Heimatort Leverkusen-Opladen, als auch im Stadion verkehrten einige Skins und Gewaltorientierte, sodass ich recht früh mit diesen Kreisen in Kontakt kam. Ich merkte schon mit ca. 15 Jahren, dass das eine spannende Sache sein kann und war dann sehr schnell mittendrin. Die Szene in LEV war ja auch recht überschaubar, deshalb konnte man mit guten Leistungen schnell auffallen. Ich denke, dass ich bereits mit ca. 17 eine gute Rolle spielte, etwas später geriet ich dann automatisch in eine führende Position.
Wenn ich richtig informiert bin, betreibst du den Podcast „Heiße Kurve, treue Typen –Fußballfans zwischen Leidenschaft und Fanatismus“ seit Ende 2018. Was war deine Intention, den Podcast zu starten und welche Geschichten wolltest Du erzählen?
Die Grundidee hatte ein Freund von mir, der mir auf einer Party diesen Floh ins Ohr setzte. Ich habe mich dann mit der Thematik „Wie baue/betreibe ich einen Podcast?“ beschäftigt und noch einen IT-Kumpel (Danke Alex!) hinzugezogen, um die Seite aufzubauen. Ein Grafiker aus unserer Fußball-Szene (Mercí Gerard!) hat dann die Optik verbessert. Inhaltlich wollte ich von Beginn an nur mit echten Fans aus der Kurve sprechen und auch nur über das Fanleben, nicht über das Spiel. Ich denke das klappt bis heute ganz gut. Zu Wort kamen ja bisher Ultras, Hools, Kutten, Fanbetreuer, Ex-Spieler, Alt-Rocker, Groundhopper, etc.
Entsprechend breit ist das Themenspektrum von Groundhopping, aktuellen Themen der Fanpolitik und der aktiven Fanszene – nicht zuletzt der von Leverkusen, aber auch darüber hinaus – bis hin zu Gesprächen mit alten Haudegen und Weggefährten der 3. Halbzeit. Wie würdest Du in deinen eigenen Worten deine Themenauswahl beschreiben?
Ich versuche, ein möglichst breites Spektrum aus den Kurven abzubilden. Viele Themen hatte ich von Beginn an im Kopf, andere Sachen kommen hinzu. Man muss nur genau hinhören, was so in und um die Stadien passiert, dann ergibt sich Vieles automatisch!
Du scheinst hervorragend in der Szene vernetzt zu sein und präsentierst mit „Heiße Kurven, Treue Typen“ viele Freunde, aber auch viele ehemalige Rivalen. Was ich ja toll finde, ist, dass du immer on tour bist und auch Interviews unter anderem in Hamburg, Hannover, Frankfurt oder Kerkrade führst. Fühlt es sich für dich, bei allem Respekt, wie ein zweiter Frühling an, quasi den alten „Fan Treff“ mit deinem Format ins Jahr 2020 katapultiert zu haben?
Da ich schon seit Mitte/Ende der 80er viel unterwegs bin – in den deutschen Ligen, aber auch im Europacup und bei Länderspielen – habe ich schon etliche gute Kontakte geknüpft. Heutzutage kommen durch meine alten Freunde wieder viele neue Kontakte hinzu, das Ganze ist quasi beinahe unerschöpflich! Es macht mir mega Spaß, immer wieder neue interessante Leute kennenzulernen und mit denen dann spannende Gespräche aufzunehmen! Ja, tatsächlich ein zweiter Frühling! 🙂 Und das mit dem Fantreff 2.0 haben schon andere zu mir gesagt. Wobei ich den Machern des FT in keinster Weise zu nahe treten möchte! Hier wurde damals ein super Job gemacht, danke dafür!!!
War es eigentlich schwierig – egal, ob alter Freund oder Feind – die Männer für deinen Podcast zu begeistern und sie als Gesprächspartner zu gewinnen?
Zu Beginn war es bei dem ein oder anderen schwierig. Manche waren sofort begeistert und haben gerne mitgemacht. Heute ist es so, dass die Meisten gerne mit mir sprechen und einige sogar ungeduldig warten, wann ich endlich zum Interview vorbeikomme.
Und wo wir schon quasi dabei sind: Wer wie Du so oft unterwegs ist und dabei mit vielen alten Kollegen anstoßen dürfte – welches angebotene Bier schmeckte dir bislang am besten?
Also ich komme fast mit jedem Bier klar! Hauptsache, gut gekühlt. Auf der Insel trinke ich gerne Guinness, in Deutschland lieber Pils oder Kölsch. Und immer gerne was Neues, was ich noch nicht kenne!
Kommen wir doch kurz einmal auf deine Gefühlswelt zu sprechen, André. Bayer Leverkusen ist erstmals seit 2009 ins Pokalfinale eingezogen. Auch wenn man sich die Antwort fast schon denken kann: Wie hart war es, nach so vielen Jahren Corona-bedingt nicht nach Berlin fahren zu dürfen? Und welche Regelung hattet ihr euch von DFB/DFL erhofft?
Ja das war wirklich richtig scheiße! Meine Hoffnung war, dass zumindest 10 000 Fans pro Team reindürfen, aber es waren ja dann Null. Macht dann auch genau Null Spaß.
AT, Du gehörst ja der seltenen Spezies an, die bei den Deutschland-Länderspielen noch ordentliche Mobs erlebt hat. Für die neue Generation, die sich das heute gar nicht mehr so vorstellen kann: Wie wart ihr organisiert und wie groß war der Haufen der deutschen Rowdys im Ausland?
Es gibt ja schon auch noch ein paar Hundert alte Recken, die das damals erlebt haben! Es war teilweise unfassbar, wie viele Leute aus der Hool-Szene so ab 1987 bis 1998 unterwegs waren, z.T. auch mal 2000 Mann (In Rotterdam ´89). Es gab schon mal kleinere Absprachen im Vorfeld (per Festnetz oder Briefpost!), aber meistens wusste irgendwie jeder, wann und wo er sich einzufinden hatte! War irgendwie logisch. Das waren wirklich wilde Zeiten, die auch immer wieder in meinen Podcast-Interviews zur Sprache kommen.
Auf ihre Highlights angesprochen, nennen die Veteranen immer wieder Rotterdam 1989, Mailand 1990 oder den letzten Auftritt im alten Wembley 2000, bei dem ich leider trotz eines gebuchten Tickets krank zuhause war. Was waren für dich die Highlights auf Reisen mit der deutschen Nationalmannschaft und wie müssen sich unsere Leser das Drumherum vorstellen?
Rotterdam, Mailand, Luxemburg, Brüssel… es war eigentlich an diesen Spieltagen von vormittags an oft bis nachts durchgehend „Unruhe“… Randale in Reinkultur. Anarchie. Das kann man sich heute schwer vorstellen, später vergleichbar mit den Krawallen zum 1. Mai in Berlin oder Hamburg. Einfach heftig und exzessiv. Adrenalin-Junkies on the Road…
Wenn ich an die oben aufgeführten Spiele denke, kommen auch die damit verbunden Erinnerungen an die damalige Mode auf – Adidas Torsions, Best Company, Chevignon, etc. Wie wichtig war das Thema Mode und Turnschuhe für dich? Und welchen Style hast Du persönlich bevorzugt?
Mir war die Mode nicht so wichtig, klar hatte ich auch Torsion oder eine Chevi-Jacke. Aber später war es ohne die Top-Labels einfacher, sich mal vor der Schmier davon zu machen. Also eher unauffällig gekleidet. In jungen Jahren bin ich auch mit Harrington-Jacke und Fred Perry rumgelaufen, das geht auch heute noch.
Wenn wir über die alten Zeiten reden, müssen wir natürlich auch über den Wandel in der Szene sprechen. Nachdem am Spieltag fast nichts mehr möglich war, verlagerten die Hooligans ihren „sportlichen Vergleich“ auf die sogenannten Drittorte, besser bekannt als Feld-Wald-Wiese oder Acker. Wie hast Du die Veränderung miterlebt und welchen Schluss hast du für dich daraus gezogen?
Um die Jahrtausendwende war glaube ich der Wechsel im Gange, klar habe ich das mitbekommen. Vorher gab es ja auch schon Verabredungen etwas abseits vom Stadion, also quasi die Vorläufer vom Acker! Da haben wir u.a. mit den Hamburger Ultras im Podcast drüber gesprochen. Für mich war damals gerade eine Phase, wo ich mich ein bisschen zurückgezogen hatte: Beziehung, zu viele Anzeigen, der Job war in Gefahr. Deshalb war ich nur 2x bei ausgemachten Dingern nach 2000 dabei. Heute bin ich definitiv zu alt für sowas.
André, Leverkusen verfügte über diverse Kontakte und Freundschaften wie beispielsweise Offenbach, Lüttich, BFC und Brighton. Bist Du in deiner aktiven Zeit immer on tour gewesen, um auch die Freunde zu unterstützen? Gibt es da Highlights, von denen Du gerne berichten möchtest?
Ja, ich war immer sehr viel unterwegs, bei allen genannten Freundschaften immer sehr aktiv! Es war mir immer sehr wichtig, diese Freundschaften zu pflegen, und das klappt am besten durch persönliche Besuche! Und die Gäste auch bei sich zu Hause zu bewirten etc. Mit den Jungs vom OFC feiern wir 2021 unser 40jähriges! Und das Ausland (Belgien, England) ist zusätzlich spannend, weil man so ja auch ganz andere (Fußball-) Sitten kennenlernt. Kann ich jedem nur dringend empfehlen.
Du steckst so viel Zeit und Leidenschaft in deinen Podcast und bist mit der alten Garde der deutschen Fußballrowdies bestens vernetzt. Hand aufs Herz, André: Hast Du schon mal mit dem Gedanken gespielt, ein Buch herauszubringen?
Jein… der Gedanke wurde eher oft an mich herangetragen, nach dem Motto: AT, schreib doch mal ein Buch!!! Aber ich ahne, wie viel Arbeit dahintersteckt und habe größten Respekt vor denjenigen, die das schaffen! Jetzt aktuell hat Alberto aus Madrid drei (!!!) Bücher von den Hoolszenen aus ganz Europa fertig gestellt! Respekt! Titel „Oldskool“
Du hast den Wandel in den Fanszenen, den Stadien, bei der Polizei, den Verbänden und des Drumherums am Spieltag seit den 1980er Jahren live miterlebt. Welche Dinge wünschst Du dir aus der guten, alten Zeit zurück?
Dass nicht jede Kleinigkeit sofort sanktioniert wird! Mein Gott, worüber reden wir denn manchmal? Da wirft einer einen leeren Becher, oder zwei Jungs geben sich ein paar Schellen. Die Leute müssen doch nicht sofort SV bekommen und ne Anzeige obendrauf! Kriminalisieren nennt man das… Früher waren das Kavaliersdelikte… Heute sind Fußballfans Schwerverbrecher!! Unfassbar…
Bevor wir zum Ende kommen müssen, mal eine Frage für unsere Leser, die „Heiße Kurve, treue Typen“ nicht kennen sollten. Welche drei Episoden würdest du ihnen empfehlen, um ins „Thema“ reinzukommen und warum?
Hmm… gute Frage… über mich selber habe ich oben schon einen Tipp gegeben, ansonsten soll sich jeder von den Titeln inspirieren lassen! Der eine möchte mehr über Ultras erfahren, der andere über Hooligans. Einfach mal ein bisschen surfen schadet glaube ich nicht! 😎
Und auch über die liebe Technik müssen wir sprechen. Wie und wo kann man den Podcast abrufen und wie verhält es sich mit der Bezahlmethode?
Den Podcast gibt es – wie viele andere Podcasts aus dem Bereich Fankultur – in der App „Football was my first love“. Man kann einen Teil frei hören, anschließend Supporter werden, um alle Inhalte der App unbegrenzt zu hören. Das kostet 3€ im Monat oder 20€ im Jahr und Ihr könnt einen Podcaster Eurer Wahl unterstützen. Es gibt verschiedene Bezahlmethoden. Die Jungs arbeiten auch gerade an Paypal, das ist in Deutschland leider aktuell teilweise nicht möglich einzubinden.
Vielen Dank für deine Zeit, AT. Ich wünsche Dir und uns viele weitere spannende Episoden von „Heiße Kurve, treue Typen – Fußballfans zwischen Leidenschaft und Fanatismus“ und natürlich alles Gute für die Zukunft. Die letzten Worte des Interviews gehören wie gewohnt unserem Gesprächspartner.
Ich freue mich riesig, dass inzwischen so viele Leute von überall meinem Podcast lauschen! Nur durch die Hörer kann das Projekt am Leben bleiben! Ich für meinen Teil habe noch reichlich Ideen und Interview-Partner, wenn ihr da draußen Spaß dran habt, kann das gerne noch ein paar Jährchen so weiter gehen. Viele Grüße, Euer AT!
Heisse Kurven, treue Typen
Fans zwischen Leidenschaft und Fanatismus
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